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Datenkrake BND – Christian Mihr (links) von Reporter ohne Grenzen und Ulf Buermeyer von der Gesellschaft für Freiheitsrechte klagen in Karlsruhe.

© Uli Deck/dpa

Dienst an der Grenze: BND vor dem Verfassungsgericht

Karlsruhe wird wohl den Geheimdienst beim Abschöpfen internationaler Kommunikation einschränken – weil auch Ausländer deutsche Rechte haben.

Selten wird vor dem Bundesverfassungsgericht einmal die Präambel verhandelt, jene feierliche Einleitung des Grundgesetzes, die Gott beschwört und in der viel von Deutschland und dem deutschen Volk die Rede ist.

Am Dienstag ist es so weit. Joachim Wieland, Prozessbevollmächtigter der Bundesregierung, zieht die drei Sätze heran, um die Klagen gegen die Überwachungsbefugnisse des Bundesnachrichtendiensts (BND) abzubügeln. Grundrechte gelten prinzipiell nur für Deutsche im Inland, argumentiert er. Ausländer im Ausland könnten sich nicht auf sie berufen.

Tatsächlich nicht? Die Deutschen-Frage markiert das Kernproblem der auf zwei Tage angesetzten mündlichen Verhandlung in Karlsruhe, und sie lässt sich wohl nicht so leicht beantworten, wie es der Regierung vorschwebt.

Journalisten unter anderem aus Aserbaidschan, Mexiko, den Niederlanden und Großbritannien haben zusammen mit der in Frankreich ansässigen Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ gegen die 2017 eingeführten Regelungen zur Fernmeldeaufklärung des BND Verfassungsbeschwerde erhoben.

Sie tragen vor, durch den Zugriff des BND auf Internet-Kommunikation bei ihren investigativen Recherchen bloßgestellt zu werden. Reporter-Vertreter Christian Mihr verweist auf die aus anonymen Quellen zugespielten „Iran-Leaks“, in der die systematische Verfolgung von Medienleuten in der islamischen Republik dokumentiert würde. IT-Sicherheit, etwa durch Verschlüsselung, müsse man sich leisten können.

Viele könnten dies nicht. „Quellenschutz und Pressefreiheit wird zur Geldfrage“, sagt Mihr. Angesichts internationaler Kooperationen der Geheimdienste könne auch kein Whistleblower sicher sein, nicht mittels BND-Spürprogrammen enttarnt zu werden.

Schnüffelpraxis des BND ist berüchtigt

Zwar ist noch kein solcher Fall bekannt geworden, doch berüchtigt ist die Schnüffelpraxis der deutschen Auslandsaufklärer. Anhand von Schlüsselbegriffen, sogenannten Selektoren – mitunter vorgegeben von ausländischen Partnerdiensten –, werden ausgeleitete Datenströme systematisch durchforstet.

Was im Zuge der Enthüllungen über die NSA durch die den früheren US-Geheimdienstlers Edward Snowden ruchbar wurde, ist aus Sicht der Verantwortlichen gängige Spionagepraxis im digitalen Zeitalter. Nur fehlte es an einer gesetzlichen Grundlage. Das wurde 2017 mit dem erneuerten BND-Gesetz nachgeholt.

Der Chef des für die BND-Aufsicht zuständigen Bundeskanzleramts Helge Braun ist amtsgemäß voll des Lobes für das Werk. Ein „fein ziseliertes Gesetz, das international seinesgleichen sucht“, schwärmt er vor den Richterinnen und Richtern des Ersten Senats. Nahezu so viele Daten, wie erhoben würden, würden sofort wieder gelöscht. Gefiltert zurückblieben unentbehrliche Informationen, mit denen man beispielsweise Anschläge auf Bundeswehrsoldaten in Afghanistan habe verhindern können. Die Regierung brauche eigene „objektive Lagebilder“.

Das stellt Rechtsprofessor Matthias Bäcker nicht in Abrede, der die Journalisten vertritt. Er zeigt sich sogar zufrieden damit, dass die Regelungen Konturen eines Eingriffs sichtbar gemacht hätten, der vorher im Verborgenen erfolgt sei. Aber dies alles unter der aus seiner Sicht falschen Prämisse, dass Artikel zehn des Grundgesetzes, der Schutz des Fernmeldegeheimnisses, auf die Kommunikationen von Ausländern im Ausland unanwendbar sei. Bäcker zitiert einen Geheimdienstler, der bündig behauptet habe, solche Inhalte seien „zum Abschuss freigegeben“.

Richter sehen grundrechtsfreien Räume der Dienste skeptisch

Der Regierungs-Prozessbevollmächtigte Wieland warnt vor den Folgen einer anderen Sichtweise: Etwa könnten Flüchtlinge schon auf dem Boden deutscher Botschaften Asyl reklamieren. Oder die Bundeswehr im Auslandseinsatz sei plötzlich an deutsche Grundrechte gebunden.

Der amtierende BND-Präsident Bruno Kahl nennt eine Zahl, die den BND ziemlich blind erscheinen ließe, sollte die digitale Erfassung wegfallen. 20 Prozent der Meldungen, die der Dienst generiere, beruhten auf solcher Ausland-Ausland-Kommunikation, sowohl per Kabel wie über Satellit. BND-Oberst Gerd Weidenbrücher aus der technischen Abteilung spricht von 3000 Telekom-Anbietern in Deutschland, die zur Ausleitung verpflichtet werden könnten. 27 von weltweit 700 Internet-Knoten seien in Deutschland lokalisiert.

Dass aus rund 150 000 täglich automatisch erfassten Kommunikationen später rund 260 Treffer manuell herausgelesen werden könnten, liege am Erfahrungswissen der Nachrichtenbearbeiter. Ein Hinweis auf Terror-Kontakte seien etwa längliche Begrüßungsformeln. Erst auf dieser Ebene griffen regelmäßig Schutzmechanismen. Ausschließlich private Nachrichten aus dem Kernbereich des persönlichen Lebens seien unverzüglich zu löschen.

Bereits am Mittwoch zeichnet sich ab, dass die Richter wohl manches an der Praxis korrigieren werden. Während der Senatsvorsitzende Stephan Harbarth vorsichtig von einem Verfahren spricht, das angesichts internationaler Verflechtungen unter den Bedingungen der Digitalisierung ein „Spiegel seiner Zeit“ sei, zeigt sich auf der Richterbank wenig Verständnis für die grundrechtsfreien Räume, die der BND beansprucht.

Richter Johannes Masing, der als Berichterstatter später das Urteil abfassen wird, moniert ein Abschöpfen „ohne Anlass, ohne Eingriffsschwelle“. Ausländern deutsche Grundrechte zuzuerkennen, sei zudem kein Übergriff in die Souveränität anderer Staaten. Grundrechte seien Menschenrechte. Ihr universeller Schutz würde unterlaufen, wenn es in Sachen Geheimdienste zu einer „Superkooperation von Staaten“ komme, die unbegrenzt die bei Bürgerinnen und Bürgern des jeweils anderen erhobenen Daten tauschten.

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