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Politik: "Dies ist kein schlechter Zeitpunkt"

DEN HAAG .Das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat am Donnerstag den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic und vier führende serbische Politiker der Kriegsverbrechen im Kosovo angeklagt.

DEN HAAG .Das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat am Donnerstag den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic und vier führende serbische Politiker der Kriegsverbrechen im Kosovo angeklagt.Ihnen werden die Vertreibung von 740 000 Menschen seit Anfang des Jahres sowie die Ermordung von 340 namentlich genannten Kosovo-Albanern zur Last gelegt.Chefanklägerin Louise Arbour betonte, die Anklagen seien nicht vollständig.Man habe vor allem verhindern wollen, daß sich die Verantwortlichen der Justiz entziehen könnten.

"Die Welt ist für sie kleiner geworden", faßte Frau Arbour die Lage für die fünf Angeklagten zusammen.Neben Milosevic wurden der serbische Präsident Milan Milutinovic, der Stellvertretende Ministerpräsident der Bundesrepublik Jugoslawien Nikola Sainovic, der Stabschef der jugoslawischen Armee, Dragoljub Ojdanic, und der serbische Innenminister Vlajko Stojiljkovic angeklagt.

Die Anklagen wurden dem Justizminister Jugoslawiens übermittelt und bei den Vereinten Nationen in New York und Genf, bei Interpol und bei den Botschaften der Schweiz sowie Jugoslawiens in Den Haag überreicht.Die Beweise, auf die sich die Anklagen gründen, sollen erst nach der Festnahme aller Beschuldigten bekanntgemacht werden.Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen wurden aufgerufen zu prüfen, ob die Angeklagten in den einzelnen Ländern über Vermögenswerte verfügen.Falls dies der Fall sei, sollten diese eingefroren werden.

Jedem der fünf Beschuldigten werden drei Fälle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ein Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht zur Last gelegt.Die Anklagen und Haftbefehle sind bereits am 22.Mai dem Richter vorgelegt worden.Auf Wunsch von Anklägerin Arbour blieb die Tatsache der Anklage jedoch bis Donnerstag mittag vertraulich.

Man wollte erst sicher sein, daß eine Gruppe der Vereinten Nationen unbehindert das frühere Jugoslawien verlassen habe.Mit der vorzeitigen Veröffentlichung der Anklage gegen Milosevic durch einen amerikanischen Sender schon am Mitwoch abend habe sie nichts zu tun, versicherte die Chefanklägerin.

Frau Arbour wies Kritik am Zeitpunkt der Anklageerhebung zurück."Ich kann nicht zustimmen, daß dies ein schlechter Zeitpunkt ist.Für strafrechtliche Anklagen gibt es nie eine günstige Zeit", meinte sie.Politischer Druck sei nicht auf sie ausgeübt worden, betonte sie.Sie äußerte allerdings Zweifel, ob Männer wie Milosevic als Garanten für eine etwaige Friedensregelung angesehen werden könnten.Durch die ihnen vorgeworfenen Straftaten zeigten sie, daß sie für eine Friedensregelung ungeeignet seien.

Arbour erläuterte, daß Informationen aus Nato-Ländern über die Kommandostrukturen auf der jugoslawischen Seite in den letzten Wochen zu den Anklagen beitrugen.Alle Anklagen seien jedoch auf die persönliche Verantwortung der Individuen für Planung, Anordnung, Unterstützung und Förderung der Straftaten abgestellt.

In der jugoslawischen Hauptstadt Belgrad hieß es, daß eine Anklage des Tribunals gegen den jugoslawischen Präsidenten ignoriert werde."Für uns existiert dieses Gericht nicht", sagte der Botschafter Jugoslawiens bei den Vereinten Nationen, Branko Brankovic, am Donnerstag in Genf.Das Tribunal sei vom UN-Sicherheitsrat ohne entsprechendes Mandat eingerichtet worden und einzig eine politische Einrichtung."Eine solche Anklage ist der letzte Versuch der Nato-Länder, das offensichtlich Unausweichliche zu vermeiden: den völligen Zusammenbruch ihrer Politik der Aggression gegen Jugoslawien", sagte Brankovic.

Auch die Opposition kritisierte die Anklage.Jetzt habe Milosevic keinen Anreiz mehr, Kompromisse zu schließen, sagte der Direktor des Belgrader Zentrums für Menschenrechte, Vojin Dimitrijevic.Der Sprecher der Demokratischen Partei, Slobodan Vuksanovic, nannte die Anklage "eine Katastrophe für die Demokraten und die ganze Nation".

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