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Politik: Diese Politik sieht alt aus

DAS NEUE KABINETT

Von Bernd Ulrich

Es wirkt weniger wie ein Kabinett von 68ern als wie eines von 68Jährigen. Die neue rot-grüne Regierung ist im Schnitt stattliche sechs Jahre älter als Kohls letztes Aufgebot. Aber was soll’s, auch alte Männer und Frauen können junge Politik machen. Denkt man.

Allerdings drängt sich beim Lesen des Koalitionsvertrages eher der Eindruck auf, als solle nicht nur Politik von Alten gemacht werden, sondern – mit Ausnahme der verbesserten Kinderbetreuung – auch für Alte und gegen Jüngere. Wie die Renten finanziert werden sollen, das ist, gelinde gesagt, ein Ärgernis. Die Beiträge werden erhöht, was schlecht ist für den Arbeitsmarkt. Die Beitragsbemessungsgrenze wird angehoben, was schlecht ist für den Mittelstand und in einigen Jahren das Rentenloch noch vergrößert. Die Ökosteuer wird erneut angehoben, damit wir weiter für die Rente rasen dürfen. Die private Altersvorsorge soll hingegen nicht weiterentwickelt werden. Und die Rentner selbst? Sie sind die einzigen, die gar nichts beitragen.

Ebenso generationen-ungerecht ist es, dass sich die Regierung keine ernsthaften Reformen im Gesundheitswesen vornimmt. Auch hier machte der demografische Druck grundlegende Veränderungen erforderlich. Aber was tut der Kanzler? Er gibt der erfolglosen Ulla Schmidt neben der Gesundheit nun auch noch die Sozialversicherungen und macht sie zur Superministerin für rote Zahlen. Wenn er dem Wähler schon schadet, dann sollte er ihn nicht auch noch verspotten. Dass außerdem noch die Neuverschuldung erhöht werden soll, was wiederum den Jüngeren schadet, lässt den Koalitionsvertrag fast wie eine Generationen-Kampfansage erscheinen.

Die rot-grüne Regierung macht also Politik für Alte. Konsequenterweise hat sie sich daher auch vorgenommen, alte Politik zu machen. Von wahrhaft Lafontaineskem Sozialdemokratismus zeugt das vorherrschende Gerechtigkeitsverständnis. Bei den wenigen Sparmaßnahmen und den vielen Steuermehreinnahmen wurde sorgfältig darauf geachtet, dass für jede soziale Schicht eine kleine Zumutung dabei ist, die Sache also aussieht, als sei zwischen Arm und Reich alles ausgewogen. So ignorieren die Rot-Grünen, dass die Gerechtigkeit zwischen Jung und Alt heute ein mindestens genauso großes Problem darstellt.

Sie verwandeln darüber hinaus die vor vier Jahren als Zugpferd der Gesellschaft entdeckte Neue Mitte in eine Milchkuh. Fast alles, was zu bezahlen ist, wird, genau besehen, vom mittleren Drittel finanziert. Der Koalitionsvertrag ist für die Neue Mitte ein Entmutigungsprogramm. Die rot-grüne Antwort auf die Krise des Landes lautet: Mit höheren Steuern und neuen Schulden mehr anstatt weniger Geld in die Hand des Staates. Offenbar haben am Verhandlungstisch überwiegend Sozialdemokraten gesessen – auf beiden Seiten des Tisches. Und über allem schwebte Lafontaine. Das Wort Freiheit kommt übrigens fast gar nicht vor.

Worauf kann man trotz dieses Vertrages hoffen? Dass er nur einen ersten Schritt darstellt, weg von den Lügen des Wahlkampfes, hin zu den Wahrheiten der Zukunft. Dass er dazu dient, dass Rote und Grüne sich vertragen, nicht als Blaupause für vier Jahre. Dass die Vision einer anderen Republik, die in seiner Präambel durchaus enthalten ist, auch Wirklichkeit wird: eine kinderfreundliche, ökologische, mutige, nachhaltige, eine, die Atem holt. Hoffen darf man nicht zuletzt darauf, dass die sozialdemokratische Illusion, mit mehr Staat und winzigen Reformen sei Deutschland noch zu helfen, an den Realitäten platzen wird.

Und hoffen muss man eben doch auf dieses Kabinett, das der eigensinnigen, alten Alpha-Tiere. Sie können was, wenn sie wollen. Und wenn sie müssen.

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