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Politik: Dieser Krieg macht einsam

DIE USA UND DER IRAK

Von Malte Lehming

Die Szene spielt vor gut einer Woche. Im Weißen Haus herrscht Hochbetrieb. Laura Bush empfängt die ersten Gäste. Ihr Mann will eben noch der Weltpresse erklären, warum Amerika bald Krieg führen muss. Millionen Menschen protestieren, der Papst warnt, wichtige Verbündete wenden sich ab. Der USPräsident ist bereits für die Kameras geschminkt, als er seinen Büroleiter plötzlich bittet: „Warum lasst Ihr mich nicht alle mal für einen Moment allein?“ Seine Mitarbeiter gehen hinaus. Stille umgibt George W. Bush, zehn Minuten lang. Für einen einsamen Menschen ist das eine Ewigkeit. Bush ist allein. Ist es die Einsamkeit des Weltenlenkers oder die eines Mannes, den alle guten Geister verlassen haben?

Am Sonntag hat dieser Einsame auf einer einsamen Atlantik-Insel zwei andere Einsame versammelt. Tony Blair wird durch die Krücken der britischen Opposition gestützt, der Spanier Jose Maria Aznar steht nicht zur Wiederwahl an. Dieses Häuflein bildet den kläglichen Rest der Anti-Saddam-Koalition. Einstimmig hatte der UN-Sicherheitsrat vor vier Monaten die Resolution 1441 verabschiedet. Doch schon damals war die Geschlossenheit geheuchelt. Länder wie Syrien und Frankreich stimmten nur zu, um die USA vom Krieg abhalten zu können. Mit den „ernsten Konsequenzen“, die dem Irak angedroht wurden, meinten sie es nie ernst. Die Bush-Regierung wiederum wollte ihren Kriegsplänen lediglich das Mäntelchen des Völkerrechts umhängen. In Wahrheit sollte Saddam Hussein nicht bloß entwaffnet, sondern gestürzt werden. Dem Frieden gab sie nie eine Chance. Das Zerwürfnis im Sicherheitsrat hat Klarheit geschaffen. Das ist die Botschaft von den Azoren: Die Zeit des Redens ist vorbei. Heute wird entschieden. Nicht ob es einen Krieg gibt, sondern, wer sich an ihm beteiligt.

Bush ist der Einsamste der Einsamen. Es ist seine Entscheidung, ob eine Viertelmillion Soldaten den Irak überrollen. Es wäre ein politischer Krieg, begründet durch das strategische Kalkül einer Hypermacht. Weder wurde Amerika angegriffen (Pearl Harbor), noch muss das Völkerrecht verteidigt werden (Korea, erster Golfkrieg), weder droht eine Hungerkatastrophe (Somalia), noch finden „ethnische Säuberungen“ (Balkan) statt. Läuft alles nach Plan, hat Amerika die Demokratie in Nahost befördert und ein unliebsames Regime beseitigt, von dem nicht ausgeschlossen werden kann, dass es Terroristen mit Massenvernichtungswaffen versorgt. Für dieses Ziel riskiert Bush Tausende von Menschenleben, den Hass von 1,2 Milliarden Moslems, einen Anstieg des Terrorismus, eine weltweite Rezession und die Spaltung der transatlantischen Wertegemeinschaft.

Dennoch folgen die Amerikaner ihrem Präsidenten. Eine Mehrheit unterstützt den Krieg auch ohne UN-Mandat. Der Sturz eines Diktators gilt an sich als gute Sache. Im Irak sterben, das schätzt Unicef, 60000 Kinder im Jahr an Unterernährung. In Bagdad heißt es, daran seien die Sanktionen schuld. Doch jeder weiß, dass Hussein dieses Elend durch seine Öl-Einnahmen lindern könnte. 60000 Kinder pro Jahr! Welcher Krieg kann grausamer sein als eine solche Tragödie? Das fragen sich – rührend naiv, moralisch, besorgt – viele Amerikaner, die ihre Töchter und Söhne zum Kämpfen in die Wüste schicken.

Eine diffuse Mischung aus Terrorangst und Idealismus nährt die amerikanische Kriegszuversicht. Doch die Hoffnungen sind fragil. Nur wenn es Bush gelingt, sich am Ende eines möglichst kurzen Krieges mit möglichst wenig Opfern als Befreier zu profilieren, wird er die selbst verschuldete Einsamkeit überwinden. Die Chancen sind gering. Sein Kurs ist, im buchstäblichen Sinne, lebensgefährlich.

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