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Politik: Diplomaten-Krise: Zunehmend feindlich: Der Ton gegenüber Moskau wird schärfer

Wenn schon kein Schlagwort, so gibt es zumindest bereits ein Kürzel: In Amerika spricht man von dem PNG-Krieg, der am Mittwochabend zwischen den USA und Russland begonnen hat. PNG steht für persona non grata.

Wenn schon kein Schlagwort, so gibt es zumindest bereits ein Kürzel: In Amerika spricht man von dem PNG-Krieg, der am Mittwochabend zwischen den USA und Russland begonnen hat. PNG steht für persona non grata. Als solche müssen Diplomaten in ihrem Gastland erklärt werden, bevor die Regierung sie ausweisen darf. Etwa fünfzig russische Diplomaten, die in Washington, New York und San Franzisko arbeiten, will die Bush-Administration in den kommenden Wochen des Landes verweisen. Es ist die größte Aktion dieser Art seit 1986 und die erste Massenausweisung angeblicher Spione seit dem Fall der Mauer. Lebt der Kalte Krieg wieder auf?

Offiziell heißt es, die Maßnahme sei eine Vergeltung für die Tätigkeit des Mokauer FBI-Agenten Robert Hanssen, der am 18. Februar nach monatelanger Beobachtung auf frischer Tat ertappt worden war. Die ersten Ausgewiesenen, die schon am Donnerstag das Land verließen, sollen direkt in Hanssens Spionagearbeit verwickelt gewesen sein. Auf das Konto des 56-Jährigen, der insgesamt 27 Jahre lang in Diensten des FBI stand, wovon er 15 Jahre lang für Moskau arbeitete, soll unter anderem die Enttarnung zweier amerikanischer Agenten gehen, die dann in der damaligen Sowjetunion hingerichtet wurden. Außerdem soll er die Existenz eines Abhörtunnels verraten haben, den der US-Geheimdienst unter die Moskauer Botschaft in Washington gegraben hatte.

Innerhalb des FBI war Hanssen sowohl ein Experte auf dem Gebiet der Spionageabwehr als auch ein Spezialist für elektronische Überwachung. Er war in die wichtigsten Operationen des US-Geheimdienstes eingeweiht. Der Schaden, den er durch seine Spionagetätigkeit für die Vereinigten Staaten angerichtet hat, wird als "äußerst gravierend" bezeichnet. Von den Russen soll er als Lohn mehr als 600 000 Dollar in bar sowie Diamanten erhalten haben. Der Vater von sechs Kindern wurde vor gut vier Wochen festgenommen, als er an einem geheimen Ort im US-Bundesstaat Virginia Dokumente für einen Kontaktmann hinterlegte. Ihm droht die Todesstrafe.

In ihrer Bedeutung reicht die Maßnahme der Bush-Regierung allerdings über diesen Einzelfall hinaus. Der Ton gegenüber Russland - aber auch China, Nord-Korea oder dem Irak - ist schärfer geworden. "Zunehmend feindlich", schreibt die "New York Times", stehe die neue US-Administration den Russen gegenüber. In der vergangenen Woche erst hat Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Moskau beschuldigt, in starkem Maße an der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen beteiligt zu sein. Sein Vize, Paul Wolfowitz, ergänzte, "für Geld scheinen die Russen bereit zu sein, alles an jeden zu verkaufen". Und fast demonstrativ hat George W. Bush bislang noch nicht bekannt gegeben, wann er Wladimir Putin zu empfangen oder zu besuchen gedenkt. "Der Fall Hanssen war nur der Katalysator", so zitiert die "Washington Post" einen Regierungsvertreter, "erst der Regierungswechsel hat diese Aktion ermöglicht."

Zum Fall Hanssen und der veränderten politischen Großwetterlage kommt als drittes Element die Beschwerde von US-Sicherheitskreisen über die zunehmende Zahl russischer Spione in den USA. Gleich nach dem Fall der Mauer war sie auf unter hundert gesunken, stieg dann aber wieder rapide an. Inzwischen soll sie bei weit über zweihundert liegen und damit so hoch sein wie auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Ihr Hauptbetätigungsfeld sei die Industriespionage. "Seit vielen Monaten schon sind wir besorgt über diese Entwicklung", sagt ein Regierungsvertreter. "Sie bindet in ihrer Bekämpfung zu viele von unseren eigenen Kräften." Allein 114 Diplomaten sind an der russischen Botschaft in Washington akkreditiert. Die Briten haben 76.

Die Aktion der USA erinnert aber auch an den "Diplomatenkrieg" aus dem Jahre 1986. Im September hatte Präsident Ronald Reagan damals die Ausweisung von 25 Mitarbeitern der sowjetischen Mission bei den Vereinten Nationen in New York verfügt. Im Gegenzug wies die Sowjetunion fünf hochrangige US-Diplomaten aus. Die USA reagierten darauf mit der Ausweisung von mehr als fünfzig weiteren Diplomaten, woraufhin Moskau fünf weitere US-Diplomaten zu personae non gratae erklärte. Amerikanische Experten glauben, dass damals der sowjetische Geheimdienst in seiner Tätigkeit erheblich eingeschränkt werden konnte.

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