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Den Gepard, einen Panzer mit Flugabwehr-Kanonen, will die Bundesregierung nun direkt an die Ukraine liefern.

© Christian Charisius/REUTERS

Direkte Panzerlieferungen an Kiew: Wie die SPD-Fraktion von der Gepard-Entscheidung überrollt wurde

Die Ampel legt einen Antrag zur Ukraine-Hilfe vor. Wenige wissen aber, dass der Kanzler nun auch Panzer direkt an Kiew liefern lässt. Eine Rekonstruktion.

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Rolf Mützenich versucht am Morgen, auf die Bremse zu treten. „Ich finde, die Diskussion der letzten Tage hat eine massive, militaristische Schlagseite“, warnt der SPD-Fraktionschef im ARD-„Morgenmagazin“. Der überzeugte Friedenspolitiker ist spürbar genervt von den Rufen, auch aus den eigenen Reihen, wonach die Militärhilfe für die Ukraine nicht ausreiche und Berlin Kampfpanzer direkt und ohne Umwege über Partnerländer oder Firmen liefern müsse.

Als hätte Sergej Lawrow das „Spiegel“-Interview von Kanzler Olaf Scholz (SPD) gelesen („Es darf keinen Atomkrieg geben“), hat der russische Außenminister kurz vor Mützenichs Fernsehauftritt gewarnt, wegen der Waffenlieferungen sei die Gefahr eines Dritten Weltkriegs „ernst“ und dürfe „nicht unterschätzt werden“.

Der SPD-Fraktionschef schien da noch zu denken, mit dem Ampel-Antrag zur Unterstützung der Ukraine durch Deutschland könnten die Kritiker und Antreiber in den Reihen von SPD, Grünen und FDP eingeordnet werden. In dem am Wochenende zwischen den drei Koalitionspartnern schnell erarbeiteten Antrag werden vor allem das Konzept eines Ringtausches und diplomatische Bemühungen zur Beendigung des russischen Kriegs in der Ukraine unterstützt. Direkte deutsche Panzerlieferungen tauchen in dem Antrag nicht explizit auf.

Doch zur gleichen Zeit, während Mützenich und auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert diesen Kurs im Frühstücksfernsehen kundtun, sickert aus Regierungskreisen durch, dass sich das Ampel-Kabinett in seinem Handeln eher an dem orientiert, was die Union in ihrem konkurrierenden Antrag fordert. Im geheim tagenden Bundessicherheitsrat ist eine entsprechende Entscheidung gefallen.

So will die Bundesregierung erstmals eine direkte Panzer-Lieferung aus Beständen der deutschen Industrie an die Ukraine erlauben – ohne Umweg über ein Partnerland. Der Rüstungshersteller Krauss-Maffei Wegmann (KMW) bekommt grünes Licht, um Gepard-Flugabwehrpanzer an Kiew verkaufen zu können. Diese müssen vom Unternehmen aber erst noch einsatzfähig gemacht werden.

Nach Tagesspiegel-Informationen geht es um die Lieferung von mehr als 30 Gepard-Panzern. KMW hat noch 50 der alten Panzer auf Halde, aber längst nicht alle scheinen schnell einsatztauglich gemacht werden zu können. In Regierungskreisen wird beschwichtigend betont, es gehe nicht um Kampfpanzer, sondern um Panzer, die den Luftraum über der Ukraine gegen russische Angriffe schützen können. Experten weisen allerdings darauf hin, dass die zwei schweren Maschinenkanonen auch gegen Bodenziele eingesetzt werden können.

Verteidigungsministerin Lambrecht (SPD) gab die Entscheidung beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Ramstein bekannt.
Verteidigungsministerin Lambrecht (SPD) gab die Entscheidung beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Ramstein bekannt.

© IMAGO/Political-Moments

Druck durch das Nato-Treffen in Ramstein

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) bestätigt die Gepard-Entscheidung offiziell beim Nato-Treffen von 40 Staaten auf dem US-Stützpunkt in Ramstein (Rheinland-Pfalz). Auch wegen des Treffens war der Entscheidungsdruck gewachsen, den FDP und Grüne in der Ampel-Koalition erhöhen.

Lambrecht kann hier nun einen neuen Beitrag verkünden, den US-Verteidigungsminister Lloyd Austin lobt in Ramstein prompt den „gewaltigen Fortschritt“, das sei eine „wichtige Ankündigung“. Deutschland bezeichnet er als „tollen Freund und großen Verbündeten“.

Doch in der SPD in Berlin muss man sich erstmal sortieren. „Wir wollten bewusst keinen reinen Schwere-Waffen-Antrag schreiben, sondern dem umfassenden Sicherheitsbegriff der Ampel-Koalition gerecht werden“, sagt SPD-Außenpolitiker Nils Schmid, der auch zunächst nichts davon weiß.

„Es gibt kein Tabu und kein Veto gegen eine direkte Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine.“ Schmid reagiert aber schneller als andere SPD-Politiker, als auch er hat erst am Dienstagvormittag während eines Hintergrundgesprächs mit Journalisten von der Entscheidung der SPD-geführten Regierung erfährt.

Die Lieferung der Gepard-Panzer sei „von unserem Antrag voll gedeckt“, betont er nun.

Was das Wort „etwa“ bewirken kann

Denn kurzfristig hatte es bei Erarbeitung des Antrags noch am Montagabend – so wird es in der Fraktion berichtet – einen Wink des Kanzleramts gegeben, lieber eine Hintertür offenzuhalten – ohne es offensichtlich konkret zu sagen: für den Gepard, vielleicht später dann noch den Marder und den Leopard.

In Punkt III, Absatz 2 heißt es nun, der Bundestag fordere die Regierung auf, „die Lieferung benötigter Ausrüstung an die Ukraine fortzusetzen und wo möglich zu beschleunigen und dabei auch die Lieferung auf schwere Waffen und komplexe Systeme etwa im Rahmen des Ringtausches zu erweitern, ohne die Fähigkeiten Deutschlands zur Bündnisverteidigung zu gefährden.“

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Entscheidend ist das Wort „etwa“ vor Ringtausch. Denn auch andere Optionen wie eine Lieferung der deutschen Industrie werden dadurch möglich, die Union fordert das in ihrem Antrag weit offensiver. Ohne das Wort „etwa“ wäre eine Unterstützung nur für den Ringtausch in dem Antrag drin.

Also dass osteuropäische Staaten, die Geräte wie Panzer an die Ukraine abgeben, in einem solchen Fall Ersatzmaterial geliefert oder bezahlt bekommen – doch nun scheinen sich Scholz und das Verteidigungsministerium gegen die eigene SPD-Fraktion durchzusetzen. Es ist eine weitere Zäsur, nun kann die Industrie erstmals direkt Panzer aus Deutschland liefern.

Gibt es nun auch grünes Licht für Marder- und Leopard-Panzer?

Doch die eigentliche Herausforderung kommt noch: Der Rüstungskonzern Rheinmetall will im Rahmen der Milliardenhilfe der Bundesregierung 100 Marder- und 88 Leopard-Panzer an die Ukraine liefern – also Schützen- und Kampfpanzer. Das Leopard-Angebot soll auch die Ausbildung der Besatzung in Deutschland, Werkzeug, Ersatzteile, einen Servicestützpunkt und Munition umfassen. Die Genehmigung wurde laut „Welt“ Ende vergangener Woche beim Wirtschaftsministerium beantragt. KMW wolle zudem 100 Panzerhaubitzen 2000 liefern.

Olaf Scholz bei einer Sitzung des Sicherheitskabinett im Bundeskanzleramt.
Olaf Scholz bei einer Sitzung des Sicherheitskabinett im Bundeskanzleramt.

© Thomas Trutschel/IMAGO

Nachdem Scholz seinen abwägenden Kurs auch mit der Warnung vor einer nuklearen Eskalation des Krieges durch Russland begründet und die SPD diese Begründung übernommen hatte, bergen die Entscheidungen zu den Plänen der Rüstungsfirmen enormen Konfliktstoff – die Partei des Kanzlers ist dem bremsenden Druck seitens der eigenen Leute und zugleich dem Druck, mehr zu tun, ausgesetzt: Wichtige Politiker der Grünen und der FDP und sowie einige aus der SPD treiben sie vor sich her.

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Der Kanzler spaziert gut gelaunt in die Fraktion

Wegen der Geparden hat die SPD-Fraktion, die am Dienstagnachmittag tagt, Klärungsbedarf. Olaf Scholz betritt den Saal mit launigem „Hallo“, Mützenich dagegen wirkt bedrückt. Wieder muss er sich erklären für eine Entscheidung, die an ihm vorbeigegangen scheint.

Mützenich betont vor der Fraktionssitzung in seinem Statement, vor allem die diplomatischen Bemühungen: „Heute ist der Generalsekretär der Vereinten Nationen in Moskau.“ Das sei ein wichtiges Signal für die Diplomatie. „Wichtig wäre zum Beispiel eine humanitäre Feuerpause und humanitäre Korridore. Dafür setzt sich Generalsekretär Guterres in diesen Tagen ein“. 

Vor einer „massiv militaristischen Schlagseite“ der Debatte warnte SPD-Fraktionschef Mützenich noch am Dienstagmorgen. 
Vor einer „massiv militaristischen Schlagseite“ der Debatte warnte SPD-Fraktionschef Mützenich noch am Dienstagmorgen. 

© John MacDougall/AFP

Mützenich war wieder nicht vorab richtig informiert

Wusste er am Morgen, im ARD-Morgenmagazin, schon von der Gepard-Entscheidung? Mützenich weicht aus, sagt auf Nachfrage schließlich: „Sie wissen, dass Entscheidungen, die die Bundesregierung im Bundessicherheitsrat trifft, so getroffen werden, wie es nach dem Gesetz erfolgt. Und daraus können Sie auch Ihre Schlussfolgerungen ziehen.“ Später ergänzt er noch, das sei ja alles Geheimnisbewährt und eine Entscheidung der Exekutive. Dennoch sieht es für ihn und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert misslich aus, so dass sie in den Frühsendungen einen anderen Stand haben, während parallel die angeblich geheimen Infos schon zirkulieren.

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Schon bei der Scholz-Ankündigung für die Schaffung eines Bundeswehr-Sondervermögens von 100 Milliarden Euro im Bundestag war der SPD-Fraktionschef nicht vorab vollumfänglich informiert.

Noch offen war am Dienstag, wie die Union auf das Angebot der Ampel reagieren würde, mit der neuen Entwicklung einen gemeinsamen Antrag zur Ukraine-Hilfe zu verabschieden. Die Präferenz der Koalition ist eindeutig die Zustimmung von CDU und CSU zum eigenen Antrag. Allerdings wird erwartet, dass die CDU und CSU zur Bedingung machen, die direkte Lieferung schwerer Waffen an Kiew noch klarer zu bejahen.

Die Union sieht die Wende als ihren Erfolg

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt bewertet den Ampel-Antrag und die Ankündigung der Lieferung auch schwerer Waffen an die Ukraine als positives Signal: „Ich sehe den Antrag als Basis für Verhandlungen mit der Ampel-Koalition“, sagt er. Auch Dobrindt erklärt, es sei die beste Lösung, wenn Regierung und Union einen gemeinsamen Antrag hinbekämen – als Signal des Zusammenhalts in schwerer Zeit. Dafür seien allerdings noch einige Fragen zu klären. Den neuen Schritt der Bundesregierung bei der Lieferung schwerer Waffen und die in Aussicht gestellte Zustimmung der Ampel im Bundestag wertet er als Erfolg der eigenen Oppositionsstrategie: SPD, Grüne und FDP hätten damit auf Unions-Antrag für die Lieferung schwerer Waffen reagiert, meint Dobrindt.

Bei der Entscheidung im Bundestag wird der Kanzler fehlen

Auch Unions-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) signalisiert die Bereitschaft zu einer Verständigung auf ein gemeinsames Vorgehen mit der Koalition. „Ich erneuere unser Angebot, diesem Antrag zuzustimmen“, sagt er. Zwar wünsche sich die Union in einigen Punkten noch Präzisierungen in dem Text, doch „wir befinden uns auf einem gemeinsamen Weg“, meint der CDU-Chef. Für Kopfschütteln sorgt bei der Union aber, dass der Kanzler in dieser zentralen Debatte und bei der Entscheidung über die Anträge am Donnerstag im Bundestag fehlen wird. Er reist stattdessen nach Japan.

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