zum Hauptinhalt
Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestags (SPD), Monika Grütters, Mitglied des Deutschen Bundestags (CDU), Margreth Lünenborg, Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin und Oskar Niedermayer, Professor.

© Kai-Uwe Heinrich

Diskussion beim Tagesspiegel: Thierse lobt die Langeweile

Bei der Tagesspiegel-Diskussionsrunde „Wissenschaft trifft Politik“ geht es um Inszenierung , Personalisierung – und Kopfstände im Wahlkampf.

Für Wolfgang Thierse ist es eine Horrorvorstellung. „Ständig hochgezüchtete Emotionen im Bundestag – wer soll das aushalten?“ Die Hoffnung so mancher zerstört der scheidende SPD-Bundestagsabgeordnete an diesem Abend schnell: „Im Bundestag geht es unausweichlich langweilig zu.“ Und das findet der Bundestagsvizepräsident auch gut so. Denn Debatten auf Wahlkampfniveau, also vier Jahre Dauerwahlkampf im Bundestag, das wäre doch entsetzlich. Thierse muss es wissen, blickt er doch auf mehr als 20 Jahre Parlamentserfahrung zurück.

Neben ihm sitzen eine Abgeordneten- Kollegin und zwei Wissenschaftler der Freien Universität, die Politik analytisch begleiten. Die Frage des Abends, die der Tagesspiegel gemeinsam mit der FU und der Schwarzkopf-Stiftung stellt, lautet: „Wie viel Show muss sein?“ Oder wie es Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff immer mal wieder wissen will: Ist die Politik, selbst in Wahlkampfzeiten, derzeit nicht einfach zu langweilig? Auch weil die spannenden Themen fehlen, selbst zehn Tage vor der Wahl?

Parteienforscher Oskar Niedermayer widerspricht: Themen gebe es, sagt er und erinnert an die wochenlange Debatte um die Ausspähaktionen des US-Geheimdienstes NSA. „Aber das hat die Bevölkerung kalt gelassen.“ Das Problem der Parteien sei doch viel mehr, dass sie nur über konträre, einfach zu unterscheidende Inhalte wie den Mindestlohn mobilisieren könnten. Und da verfolge die Kanzlerin eine erfolgreiche Strategie: „Sie hat einfach versucht, alle Unterschiede zu verwischen und der SPD damit die Themen weggenommen.“

Ein bisschen stimmt dem die Berliner CDU-Spitzenkandidatin Monika Grütters zu. „Wir sind uns tatsächlich eher einig in der Zielsetzung. Nur in den Wegen dahin unterscheiden wir uns hier und da.“ Was sie aber im diesjährigen Wahlkampf viel mehr störe, sei nicht die Langeweile, sondern die „Überinszenierung“. Was werde nicht alles von den Kandidaten verlangt, erzählt die Bundestagkandidatin für Marzahn-Hellersdorf, beispielsweise Fragen beantworten im Speed-Dating. Es fehle nur noch, dass sie bei einer Veranstaltung einen Kopfstand zeigen müsse. „Wer nicht mitmacht, gilt schnell als Spielverderber.“ Dabei mache ihr Wahlkampf eigentlich Spaß, um auch mal „anfassbar“ zu sein. Und zur Freude der Zuhörer gesteht Grütters, dass sie sich immer wieder coachen lasse, um auf alle Themen eingehen zu können.

Dass Politiker an Türen klingeln und so die Brücke zu den normalen Menschen bauen, sei doch eher „die absolute Ausnahme“, sagt Kommunikationswissenschaftlerin Margreth Lünenborg. „Die Politik braucht die mediale Vermittlung“, und daher sei Inszenierung und Zuspitzung auch wichtig, das bringe die notwendige Spannung. Ein Duell, wie es zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Peer Steinbrück im Fernsehen geplant war, sei durchaus hilfreich, sagt Lünenborg, nur um allerdings hinzuzufügen: „Wenn es denn ein Duell gewesen wäre.“ Das Aufeinandertreffen sei zu inszeniert und normiert gewesen.

Die Frage von Chefredakteur Casdorff, warum Bundestagsdebatten keine annähernd hohen Einschaltquoten hätten wie das TV-Duell vor wenigen Tagen – fast 18 Millionen Zuschauer – und was so schlecht daran sei, Menschen auch mit Politik unterhalten zu wollen, kontert SPD-Mann Thierse empört: „Das war doch kein Alltag.“ Vielleicht sei Personalisierung „eine notwendige Verzerrung von Politik“. Aber: „Ernst wird es erst im Parlament.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false