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Update

Diskussion um Gedicht: Grass legt nach und warnt vor "Drittem Weltkrieg"

Günter Grass sieht sich an den Pranger gestellt und hält an seiner Kritik fest. Jetzt warnt er vor einem "Dritten Weltkrieg", der drohe, falls Israel Iran angreife. Aus dem Iran gibt es noch keine offizielle Stellungnahme.

Günter Grass hat seine Kritik an Israels Atomwaffenarsenal bekräftigt und vor den Gefahren eines militärischen Erstschlags gegen Iran gewarnt. "Sollte Israel - vermutlich mit sogenannten normalen, konventionellen Bomben und Sprengköpfen - Irans Atomanlagen angreifen, könnte das zum Dritten Weltkrieg führen", sagte der Literaturnobelpreisträger am Donnerstag in seinem Wohnort Behlendorf bei Lübeck in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Dabei verteidigte er ausdrücklich sein umstrittenes Israel-kritischen Gedicht „Was gesagt werden muss“ und warf einem Teil seiner Kritiker Hass vor.
Der 84-jährige Schriftsteller verwies auf die explosive Lage im Nahen Osten, die sich bei einem Präventivschlag Israels zu einem Flächenbrand ausweiten könne. Präventivschläge seien nicht vertretbar. Dies habe sich beim letzten Irakkrieg gezeigt, bei dem unter dem nachweislich falschen Vorwurf, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen, der Krieg begonnen worden sei. Bei Iran sei bisher eine Atombombe oder ein weitreichendes Raketenträgersystem nicht nachgewiesen worden. Mit seinem politischen Gedicht habe er dazu aufrufen wollen, dass sowohl Israel als auch Iran ihre Atomanlagen internationaler Kontrolle unterwerfen, sagte Grass. Als Fehler bezeichnete es der Autor, dass in seinem Gedicht von Israel und nicht konkret von Israels Regierung die Rede sei. Er hege große Sympathien für das Land und wünsche, dass es auch in Zukunft Bestand habe. Er selber würde eine Föderation zwischen palästinensischen Gebieten und Israel als politische Vision bevorzugen, aber dies sei zur heutigen Zeit nicht vorstellbar.

Der Iran hat sich bislang nicht zu dem Israel-kritischen Gedicht „Was gesagt werden muss“ von Günter Grass geäußert. Zwar wurde in der Presse von dem Text und den internationalen Reaktionen darauf berichtet, aber eine offizielle Stellungnahme dazu gab bis zum Freitag nicht. Die staatliche Nachrichtenagentur IRNA lobte Grass wegen "eines Tabubruchs in einem Land, wo die Politik und Taten des zionistischen Regimes (Anm.: Israel) ohne Wenn und Aber unterstützt werden". IRNA verurteilte die israelischen und westlichen Medien wegen deren "brutaler und zum Teil beleidigender Kritik" an Grass, nur weil dieser offen gesagt habe, dass nicht der Iran, sondern Israel die eigentliche Gefahr für den Weltfrieden sei.

Grass kritisiert seine Kritiker

Literaturnobelpreisträger Günter Grass selbst fühlt sich von den Kritikern seines politischen Gedichts über Israel missverstanden und an den Pranger gestellt: "Ich hatte gehofft, dass es zu einer Debatte kommt. Aber was ich erlebe, ist ein fast wie gleichgeschaltete Presse." Er bekomme haufenweise E-Mails von Menschen, die ihm zustimmten, aber dies dringe nicht an die Öffentlichkeit, sagte Grass gegenüber Tom Buhrom am Donnerstagabend im "Tagesthemen"-Interview.

Grass bekräftigte seine Kritik an der Drohung Israels, einen Präventivschlag gegen den Iran zu führen. "Das ist das Aufkündigen des diplomatischen Verhaltens, das uns unter anderem über sechs Jahrzehnte Frieden in Europa garantiert hat: So lange geredet wird, wird nicht geschossen."

Der "Blödsinn und die Lügen" von Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad, seien in der Öffentlichkeit bekannt. Über die Bedrohung, die von Israel ausgehe, werde hingegen zu oft geschwiegen, sagte Grass.

Ihm vorzuwerfen, er sei deswegen Antisemit, sei absurd: "Ich äußere mich zum ersten Mal umfangreich in diesem Gedicht zu Israel - ich habe viele andere Dinge kritisch infrage gestellt, nämlich in erster Linie die Bundesrepublik betreffend, weil ich der Meinung bin, man muss erst vor der eigenen Haustür kehren, bevor man andere kritisiert."

Zum Thema Siedlungsbau sagte Grass in den „ARD-Tagesthemen“: „Es darf nicht nur kritisiert, es muss kritisiert werden, wenn man es gut meint mit Israel - und das tue ich.“ „Die Lieferung von deutscher Seite eines sechsten U-Bootes, das in der Lage ist, Mittelstreckenraketen unter Umständen auch mit atomaren Sprengköpfen abzufeuern...und das Auftreten der derzeitigen israelischen Regierung, die dauernd mit einem Präventivschlag (gegen den Iran) droht“ habe ihn zu der Veröffentlichung veranlasst.

Nach der massiven Empörung über sein Gedicht zum Atomkonflikt mit dem Iran hat sich Günter Grass zu Wort gemeldet und gegen seine Kritiker ausgeteilt. „Der Tenor durchgehend ist, sich bloß nicht auf den Inhalt des Gedichtes einlassen“, sagte Grass am Donnerstag dem Norddeutschen Rundfunk (NDR). Die scharfen Anwürfe gegen seine Person bezeichnete er als Kampagne. „Es werden alte Klischees bemüht. Und es ist zum Teil ja auch verletzend“, sagte Grass.

In Deutschland stehe „eine gewisse Gleichschaltung der Meinung im Vordergrund“, sagte der Schriftsteller. Es sei auch vorauszusehen gewesen, dass sogleich „mit dem Begriff Antisemitismus gearbeitet“ würde. „In einer der Springer-Zeitungen stand, der ewige Antisemit, das ist eine Umkehrung des 'ewigen Juden'. Das ist schon verletzend und ist demokratischer Presse nicht würdig“, sagte Grass.

„Ich werde hier an den Pranger gestellt“

Auch in einem Interview mit dem Magazin „Kulturzeit“ des Fernsehsenders 3sat wies Grass die Kritik an seiner Person als überzogen zurück. „Eine derart massive Verurteilung bis hin zum Vorwurf des Antisemitismus ist von einer verletzenden Gehässigkeit ohnegleichen. Das habe ich in dieser Form noch nicht erlebt“, sagte Grass. „Ich werde hier an den Pranger gestellt.“ Es helfe Israel überhaupt nicht, kritikwürdige Vorgänge und Zustände nicht beim Namen zu nennen. Deshalb sei für ihn klar: „Widerrufen werde ich auf keinen Fall.“ Allerdings gesteht der Schriftsteller in dem „Kulturzeit"-Gespräch einen Fehler ein. Es wäre besser gewesen, nicht von „Israel“ generell zu sprechen, sondern von der „derzeitigen Regierung Israels“. An dieser Stelle habe er einen Fehler gemacht, den er nicht wiederholen würde. Grundsätzlich gelte aber: „Mit kritikloser Hinnahme hilft man Israel nicht. Das ist Nibelungentreue und wir wissen, wohin die führt.“ Die Lieferung eines sechsten U-Boots an Israel durch Deutschland, der Auslöser seiner Publikation, sei nun einmal „eine falsche Form der Wiedergutmachung“.

Am Donnerstagabend will Grass sich auch in den ARD-Tagesthemen und in der ZDF-Sendung "Aspekte" äußern. Grass hatte am Mittwoch das Gedicht „Was gesagt werden muss“ veröffentlicht. Darin wirft er Israel vor, mit seiner Iran-Politik den Weltfrieden zu gefährden. Er warnt zudem davor, dass die „Atommacht Israel“ das iranische Volk „auslöschen“ könnte.

Reaktionen auf das Gedicht von Grass hier in Bildern:

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu reagierte mit scharfen Worten auf das Gedicht. „Die schändliche Gleichstellung Israels mit dem Iran, einem Regime, das den Holocaust leugnet und damit droht, Israel zu vernichten, sagt wenig über Israel, aber viel über Herrn Grass aus“, hieß es in einer Mitteilung seines Büros am Donnerstag.

Weiter heißt es in dem Schreiben: „Es ist der Iran, nicht Israel, der eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit in der Welt darstellt. Es ist der Iran, nicht Israel, der anderen Staaten mit der Auslöschung droht. Es ist der Iran, nicht Israel, der Terror-Organisationen unterstützt, die Raketen auf Zivilisten abschießen. Es ist der Iran, nicht Israel, der das iranische Regime beim Massaker am eigenen Volk unterstützt. Es ist der Iran, nicht Israel, der Frauen steinigen und Schwule hängen lässt sowie Millionen seiner eigenen Bevölkerung brutal unterdrückt.“

Grass habe sechs Jahrzehnte verschwiegen, dass er Mitglied der Waffen-SS war. Deshalb sei es jetzt nicht überraschend, dass er den einzigen jüdischen Staat zur größten Gefahr des Weltfriedens erkläre und dagegen sei, diesem die Mittel zur Verteidigung zur Verfügung zu stellen, teilte Netanjahu weiter mit.

Klaus Staeck: Grass hat das Recht auf Meinungsfreiheit

Der israelische Historiker Tom Segev schrieb in der israelischen Zeitung "Haaretz", das Gericht sei "eher pathetisch als antisemitisch". Es sei "ungerecht", Israel und den Iran zu vergleichen. Im Gegensatz zum Iran habe Israel niemals damit gedroht, ein anderes Land von der Landkarte verschwinden zu lassen, schrieb Segev mit Blick auf Drohungen des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad.

In Schutz genommen wurde Grass dagegen vom Präsidenten der Akademie der Künste, Klaus Staeck. "Man muss ein klares Wort sagen dürfen, ohne als Israel-Feind denunziert zu werden", sagte Staeck der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung". "Die reflexhaften Verurteilungen als Antisemit finde ich nicht angemessen." Grass habe "das Recht auf Meinungsfreiheit auf seiner Seite" und nur "seiner Sorge Ausdruck verliehen". Diese Sorge teile er "mit einer ganzen Menge Menschen".

Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe, forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, Position in der Debatte zu beziehen. "Wenn ein Künstler wie Grass so einen Unsinn von sich gibt und Israel angreift, muss sich die deutsche Regierungschefin dazu deutlich äußern", sagte Robbe den "Ruhr Nachrichten". Regierungssprecher Steffen Seibert hatte am Mittwoch eine Bewertung der Regierung mit Verweis auf die Freiheit der Kunst abgelehnt.

Die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Kerstin Müller, erklärte, das Gedicht von Grass "rührt leider all die Zutaten zusammen, die für eine kritische Auseinandersetzung nicht zuträglich sind: Pathos, Apokalypse, vermeintlicher Tabubruch, Egozentrik, und leider auch Verharmlosung". Denn die Planungen zum iranischen Atomwaffenprogramm seien höchst alarmierend und es sei verständlich, dass sich die Regierung in Israel angesichts der antisemitischem Rhetorik Ahmadinedschads große Sorgen mache. (AFP/dapd/dpa)

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