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Politik: Djerba: Wach sein - wachsam sein

Vor dem Anschlag auf die Synagoge von Djerba war die Gefühlslage ungefähr so: Wir haben die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus übertrieben. Das wurde zwar nicht laut ausgesprochen, aber insgeheim gedacht.

Vor dem Anschlag auf die Synagoge von Djerba war die Gefühlslage ungefähr so: Wir haben die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus übertrieben. Das wurde zwar nicht laut ausgesprochen, aber insgeheim gedacht. Unter dem unmittelbaren Eindruck der zusammenstürzenden Türme des World Trade Centers haben wir uns die Gefahr zu groß geredet. Die USA haben die Taliban schneller als erwartet besiegt. Zu weiteren Al-Qaida-Angriffen im Westen kam es nicht. Wenn von dem Terror-Netzwerk noch eine Bedrohung ausgeht, dann nur in Afghanistan. Vielleicht auch eine für Amerikaner, weil die sich überall einmischen müssen. Jedenfalls keine Gefahr für uns Deutsche. Und schon gar nicht bei uns in Deutschland.

Zum Thema Fotostrecke: Djerba und die Folgen Plötzlich wechselt die Stimmung. Mit jedem Tag wird wahrscheinlicher, was anfangs nur ein leiser Verdacht war: Die Explosion vor der Synagoge von Djerba, bei der zehn Deutsche starben, war ein gezielter Anschlag. Und jetzt führt auch noch eine Spur hierher zu uns - wie nach dem 11. September, als bekannt wurde, wie ungestört die "Schläfer" in Hamburg ihre Vorbereitungen treffen konnten. Der Attentäter von Djerba telefonierte vor der Tat mit einem Mann im Raum Duisburg - und der soll in Verbindung mit Al Qaida stehen.

Haben wir die Gefahr unterschätzt? Richtete sich der Terrorakt in Tunesien womöglich nicht nur gegen die jüdische Synagoge, sondern gezielt gegen westliche Touristen, auch gegen deutsche?

In Frankfurt (Main) begann gestern der Prozess gegen mutmaßliche islamische Terroristen. Sie sollen einen Anschlag in Straßburg vorbereitet haben, wurden aber rechtzeitig festgenommen. Weil der französische Geheimdienst dringende Hinweise gab, nicht weil der Verfolgungsdruck in der Bundesrepublik so stark gewesen wäre. Die Angeklagten verhielten sich sogar ausgesprochen sorglos, als müssten sie keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen dagegen treffen, dass ihnen deutsche Dienste und Strafverfolger auf die Schliche kommen. Sind wir nicht aufmerksam genug? Steht die Bundesrepublik bei Terroristen gar im Ruf, ein risikoarmes Gastland zu sein? Reden wir die Bedrohung klein, weil wir nicht wahrhaben wollen, dass wir Zielscheibe werden können - Deutschland, das nach dem Krieg lernte, einfühlsam und hilfsbereit mit den meisten Konfliktparteien umzugehen?

Die Politik hat reagiert nach dem 11. September. Gesetze wurden verschärft, Sonderkommissionen gebildet, es gab mehr Geld für den Kampf gegen Terror. Der Staat stellte die Bedenken gegen umstrittene Ermittlungsmethoden wie die Rasterfahndung zurück und schränkte die Handlungsfreiheit von Religionsgemeinschaften ein. Er reagierte damit nicht nur auf die neue Bedrohung, sondern auch auf das Sicherheitsbedürfnis der Bürger. Kurz nach den Anschlägen von New York galten diese Eingriffe als bedenkliche, aber notwendige Korrekturen: Die demokratische Gesellschaft soll nicht am Missbrauch der von ihr gewährten Freiheiten zugrunde gehen.

Schon damals gab es auch warnende Stimmen, mit der Zeit wurden sie lauter. Wehrhaft soll die Demokratie sein, aber sie darf nicht die Grundrechte preisgeben, die sie zu verteidigen vorgibt. Und: Bloß kein Klima wie in der "bleiernen Zeit" des RAF-Terrors - eine Stimmung allgemeinen Misstrauens, nun gegen Muslime und Menschen anderer Hautfarbe. Gerichte erklärten die Praxis der Rasterfahndung in Teilen für verfassungswidrig. Bald herrschte wieder ein Gefühl von Normalität: deutscher Alltag wie vor dem 11. September. Das Anti-Terror-Paket galt nun als unnütz - und sogar gefährlich für die Demokratie.

Djerba zeigt: Man kann es auch mit der Entwarnung übertreiben. Die Gefahr durch den internationalen Terror ist nicht vorbei. Absolute Sicherheit gibt es nicht, die ließe sich nicht einmal mit Polizeistaat-Methoden erreichen. Aber machtlos sind Demokratien auch nicht. Der geplante Anschlag in Straßburg wurde verhindert. Die Gesellschaft muss die Bedrohung ernst nehmen. Das richtige Maß liegt in der Mitte zwischen der Aufgeregtheit kurz nach dem 11. September und der Sorglosigkeit kurz vor Djerba. Es gibt auch jetzt keinen Anlass für Hysterie, aber für nachhaltige Aufmerksamkeit. Die Deutschen müssen nicht ängstlich sein, sondern - wach.

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