zum Hauptinhalt
Abgelehnte Asylbewerber in Leipzig auf dem Weg zum Flughafen.

© Sebastian Willnow/picture alliance

Dobrintds Attacke: Von Ankerzentren, Abschiebungen und einer asylpolitischen Provokation

Nachdem Asylbewerber in Ellwangen Polizisten attackierten, wird die Diskussion um Abschiebungen schärfer. Was steckt dahinter?

Mit seiner Behauptung, es gebe eine „aggressive Anti-Abschiebeindustrie“, hat CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nicht nur den Koalitionspartner SPD, sondern auch die eigene Partei verärgert. Schließlich gibt es für die Verfahren genaue rechtliche Vorgaben – die für alle gleichermaßen gelten. Gleichzeitig wird die Diskussion um die geplanten Ankerzentren und vor allem um deren Sicherheit weiter kontrovers geführt.

Wie sind die Reaktionen auf Dobrindts Polemik?

Beim Treffen der Fraktionsspitzen auf der Zugspitze war die asylpolitische Provokation des CSU-Landesgruppenchefs kein Thema mehr. Das Einzige, was sich die friedlich gestimmte SPD- Chefin Andrea Nahles zu Alexander Dobrindts Äußerungen über die angebliche „aggressive Anti-Abschiebe-Industrie“ entlocken ließ, war, dass sie sich diese Formulierung nicht zu eigen mache. Vorher hatte sich die SPD noch heftig über Dobrindt echauffiert. SPD-Vize Manuela Schwesig nannte es „verantwortungslos“, dass die Union immer neue Debatten in der Flüchtlingspolitik anzettele. Ihr Kollege Ralf Stegner nannte Dobrindts Äußerungen „rechte Sprüche“, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hätten. Und der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Carsten Schneider, sagte, dass es die Zusammenarbeit nicht vereinfache, „wenn der eine Partner von einer permanenten Profilneurose angesteckt ist“. Auf Distanz zu Dobrindt ging auch CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. In Deutschland gebe es ein „gut ausformuliertes Asylrecht“, sagte sie im ZDF-„Morgenmagazin“. „Solange wir diese Rechtslage haben, und wir stehen zu dieser Rechtslage, kann man sich nicht darüber beklagen, wenn Rechtswege auch genutzt werden.“ Gleichzeitig forderte Kramp-Karrenbauer die SPD-regierten Länder auf, sich nicht gegen die geplanten Asyl- und Abschiebezentren zu sperren.

Wie soll der Rechtsschutz künftig aussehen?

„Rechtssicher“ sollen die Verfahren in den Ankerzentren ablaufen, heißt es im Koalitionsvertrag. Was genau das bedeuten soll, ist zurzeit noch offen. Auch künftig werden Asylbewerber gegen ihren Ablehnungsbescheid vorgehen können – und auch gegen ihre Abschiebung. Insgesamt gibt es vielfältige Möglichkeiten, in Eil- und Hauptsacheverfahren vor den Gerichten ein zumindest vorübergehendes Bleiberecht zu erstreiten.

Warum stehen Asylbewerbern diese Klagemöglichkeiten zu?

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ist eine Behörde und bei seinen Entscheidungen, wie alle exekutiven Stellen, an Recht und Gesetz gebunden. Dass gegen solche Entscheidungen unabhängige Gerichte angerufen werden können, die diese kontrollieren, folgt aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes, dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz. Danach steht jedem, der sich durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt sieht, der Rechtsweg offen. Die Gerichte haben die Klagen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend zu prüfen.

Gibt es ein Recht, über mehrere Instanzen zu klagen?

Das ist umstritten. Manche Juristen meinen, dass nach Artikel 19 Abs. 4 GG auch Urteile einen Akt öffentlicher Gewalt darstellen, der gerichtlich vollständig überprüft werden können muss. Dem Bundesverfassungsgericht zufolge gibt es jedoch keinen Anspruch auf einen solchen Instanzenzug. Eine Berufung gegen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte über Bamf-Bescheide gibt es nur in ausdrücklich zugelassenen Fällen, etwa wenn grundsätzliche Rechtsfragen aufgeworfen sind. Theoretisch bleibt danach eine Revision zum Bundesverwaltungsgericht möglich. Wegen der starken Europäisierung des Asylrechts wird zuweilen auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) eingebunden. Und da es beim Asylrecht um Grund- und Menschenrechte geht, steht Betroffenen nach Ausschöpfen des Rechtswegs auch eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und beim Bundesverfassungsgericht zu.

Wie sind die Ankerzentren geplant?

Die Abkürzung ANKER steht für Ankunft, Entscheidung und Rückführung. Jeder, der in Deutschland Schutz sucht, soll erst einmal dort untergebracht werden. Bleibeberechtigte Personen sollen von dort auf die Kommunen verteilt, abgelehnte Asylbewerber direkt aus den Zentren abgeschoben werden. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will mit diesem Procedere Verfahren und Abschiebungen beschleunigen. Im vergangenen Jahr brauchte das Bamf durchschnittlich 10,7 Monate, um einen Asylantrag zu bearbeiten. Damit die Asylverfahren schneller entschieden werden können, sollen alle Behörden in den Zentren vertreten sein, nicht nur das Bamf, das sich um die Verfahren kümmert. Auch Zweigstellen der Ausländerbehörden, der Bundesarbeitsagentur sowie Ärzte und Dolmetscher soll es vor Ort geben. Da die Behörden teils in unterschiedlicher Hand liegen – das Bamf gehört zum Bund, die Ausländerbehörden zu den Ländern, Jugendämter werden von den Kommunen betreut –, ist der Bundesinnenminister auf die Unterstützung der Länder angewiesen.

Wann sollen die Zentren ihre Arbeit aufnehmen?

Im Herbst will Seehofer mit sechs Pilotzentren starten, diese sollen innerhalb eines halben Jahres den Betrieb testen. Es sei den Flüchtlingen gegenüber humaner, dass schnell über ihren Status entschieden werde, so die Argumentation. In wenigen Wochen will Seehofer seinen „Masterplan für Steuerung und Rückführung“ vorstellen. Alleinstehende sollen bis zu 18 Monate in den Einrichtungen leben, Familien dürfen nach einem halben Jahr ausziehen. Zwischen 1000 und 1500 Personen könnten dort untergebracht werden. Zum Vergleich: In der Unterkunft im ehemaligen Berliner Flughafen Tempelhof fanden bis zu 7000 Menschen Platz.

Was sagen die Kritiker der Ankerzentren?

Die einen fürchten um die Sicherheit, die anderen um die Integration. Nach dem Angriff von Asylbewerbern auf Polizeibeamte in einer Unterkunft in Ellwangen (Baden-Württemberg) vergangene Woche fordert die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) ein umfassendes Sicherheitskonzept: einen Zaun um Anlagen, Schleusen am Eingang mit Zugangskontrollen und Videoüberwachung. Rainer Wendt, Vorsitzender der Polizeigewerkschaft, will die Zentren mit Fluchträumen ausstatten lassen, damit sich Angestellte gegebenenfalls vor Gewaltattacken schützen können. Horst Seehofer hatte auch in Erwägung gezogen, dass die Bundespolizei die Länder bei der Sicherung der Zentren unterstützen könnte. Das lehnten die Gewerkschaften ab. Seehofer will die Zentren offen gestalten, für die Bewohner soll es allerdings eine Residenzpflicht geben, die sie an eine Region bindet.

Die Vorsitzende der Partei Die Linke, Katja Kipping, wirft dem Bundesinnenminister vor, Integration zu sabotieren. „Die geplanten Ankerzentren für Geflüchtete bedeuten vor allem, dass der Kontakt zur Bevölkerung und zu Anwälten unterbunden wird. Isolation verhindert Integration und befeuert Konflikte“, schreibt sie auf Twitter. Auch die Hilfsorganisation Pro Asyl kritisierte die Isolierung von Flüchtlingen in Ankerzentren. Der Zugang zu anwaltlicher Vertretung würde enorm erschwert.

Gibt es Vorbilder für die Ankerzentren?

Genannt werden oft die Transitzentren in Bamberg und Ingolstadt. Dort leben allerdings hauptsächlich Menschen, die kaum eine Chance haben, in Deutschland bleiben zu dürfen. Außenstellen des Bamf gibt es in allen Bundesländern. Zentral organisiert ist etwa das Ankunftszentrum des Landes Baden-Württemberg in Heidelberg. Hier sind Erfassung, Gesundheitscheck, Registrierung und die Stellung von Asylanträgen möglich. So werden die Verfahren beschleunigt. Auch in der Landesaufnahmestelle Lebach im Saarland hat bereits eine Zentralisierung der Verfahren stattgefunden. Bis zu vier Wochen dauert es dort, bis die Flüchtlinge ihren Asylbescheid erhalten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false