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Politik: Doch die Musik spielt woanders

PARTEITAG DER GRÜNEN

Von Hans Monath

Die rotgrüne Regierung hat ein massives Gerechtigkeitsproblem. Es ist ein bewährtes Prinzip, dass zwei, die gemeinsam handeln, vom Richter gleich behandelt werden. In der Politik scheint diese Regel im Moment nicht zu gelten. Denn im schwierigen Reformjahr leidet nur ein Partner der rot-grünen Koalition: Die SPD streitet und kommt nicht aus dem Umfragetief. Die Grünen dürfen sich derweil an konstant hohen Spitzenwerten erfreuen. Alles haben sie in diesem Jahr gemeinsam beschlossen, das Arbeitslosengeld gekürzt, die Rentenanpassung verschoben. Die Partei Gerhard Schröders scheint es in diesem Umbauprozess fast zu zerreißen. Die Partei Joschka Fischers aber ringt mit sich, ächzt und stöhnt – und zuckt nicht zurück. Dafür wird sie dann belohnt.

Dabei schadet auch ein wenig Selbsttäuschung nicht dem Erfolg der selbst erklärten Reformer. Auf dem Dresdner Parteitag sprachen sich die Delegierten zwar allgemein für eine neue Vermögenssteuer aus, ließen in dem Beschluss ihrer Spitze in Berlin aber Spielraum, um mit der SPD eine andere Lösung zu finden. Nur den Impuls der Gerechtigkeit muss die noch erkennen lassen. Schröders Partei will sich bekanntlich auf die Erbschaftssteuer konzentrieren.

Die zweite Botschaft dieses Beschlusses ist freilich genauso wichtig: Die von Hans-Christian Ströbele angeführte Linke ist in Dresden für ihren Anspruch auf Dominanz der Partei förmlich abgestraft worden, weil sie der eigenen Fraktion viel strengere Vorgaben machen wollte. Die Delegierten aber stärkten jene Pragmatiker, die überzeugt sind, dass die Forderung nach Gerechtigkeit nicht die Wirtschaft abwürgen darf, Flexibilität in den Instrumenten keinen Verrat bedeutet und hochmoralische Beschlüssen einer 8,6-Prozent-Partei nicht automatisch in Regierungshandeln umgesetzt werden können.

Natürlich darf sich niemand dafür preisen, dass er keine Volkspartei ist: Es ist keine politische Leistung, dass die Wähler der Grünen besser ausgebildet sind, besser verdienen und deshalb weniger unter den Zumutungen der Reformen leiden. Aber wahr ist auch, dass die Grünen viel früher als die SPD diskutiert haben, dass in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit eine Chance oft mehr bedeutet als die Garantie konstanter staatlicher Transfers. Damit lässt sich die Agenda 2010 begründen. Man kann das einen modernen Gerechtigkeitsbegriff nennen. Der Erfolg der Grünen hat auch damit zu tun, dass sie sich, anders als die SPD, für die Reform-Entscheidungen nicht schämen: Wer den Umbau der Sozialsysteme nicht mit schlechtem Gewissen, sondern sogar mit einem gewissen Stolz vertritt, wird mehr Menschen überzeugen.

Alles Selbstbewusstsein kann die Grünen aber nicht darüber täuschen, dass SPD und Union am Ende des Reformjahres die Kompromisse im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat weitgehend unter sich ausmachen. Auch deshalb plant die Partei jetzt schon leidenschaftlich den Europa-Wahlkampf, den sie vor allem in der Türkei-Frage auf Konfrontation mit der Union angelegt hat. Joschka Fischers beschwörender Appell an das Verantwortungsgefühl der Dresdner Delegierten zeigt freilich: Auch für unliebsame Überraschungen sind die Grünen noch immer gut.

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