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Handschlag mit Hinterlist: Donald Trump und Theresa May trafen sich vorige Woche im Weißen Haus.

© Pablo Martinez Monsivais/dpa

Donald Trump und der Brexit: Theresa Mays falscher Freund im Weißen Haus

Die Karten werden neue gemischt: Was die Politik des US-Präsidenten für Großbritannien, die Europäische Union und den Brexit bedeuten kann.

In Derby muss man sich vielleicht weniger Sorgen machen, oder auch in Hull. In der Stadt in den East Midlands sitzt Rolls Royce, der zweitgrößte Hersteller von Flugzeugtriebwerken weltweit. In der ostenglischen Hafenstadt produzieren Smith & Nephew (Medizintechnik) und Reckitt Benckiser (Chemie). Derby und Hull haben eines gemeinsam: Sie sind mit ihren Exportprodukten relativ wenig abhängig von der EU, gleichzeitig geht ein hoher Anteil der Produkte aus diesen Städten in die USA. Vom Brexit sind sie damit etwas weniger betroffen, und für einen Handelsdeal mit den Amerikanern sind sie gut aufgestellt.

Aber Hull und Derby sind Ausnahmen auf der Insel. Die meisten Städte leben vom Handel mit der Europäischen Union. Europa ist für praktisch alle der größte Ausfuhrmarkt. 46 Prozent der Exporte aus britischen Städten, Fertigwaren, Vorprodukte, Dienstleistungen, gehen in die EU. Und auf die Städte entfallen fast zwei Drittel der britischen Ausfuhren: In Aberdeen sind es vor allem Öl und Gas, in Sunderland die Autos von Nissan, in Oxford baut BMW den Mini. Die Finanz- und Dienstleistungsmetropole London allein erbringt ein gutes Viertel der gesamten Exportleistung, der Bankenplatz versorgt ganz Europa mit Geld und Beratung. So ist jede größere Stadt existenziell mit der EU verbunden, und damit praktisch jede Region.

Umgekehrt ist die Abhängigkeit weitaus geringer. Und die Gefahr, dass Produktion, Arbeitsplätze und damit Wohlstand nach dem Austritt Richtung Kontinent abwandern, ist größer als die Wahrscheinlichkeit, dass Firmen aus der EU sich nach Großbritannien verlagern. Manche Banken planen schon mit dem Umzug eines Viertels ihrer Mitarbeiter, nach Dublin, Paris. Luxemburg oder Frankfurt.

Unterhaus debattiert Austrittsgesetz

Das ist der ökonomische Hintergrund, vor dem am Dienstag das Unterhaus das EU-Austrittsgesetz debattierte. Eine Mehrheit ist sicher, denn die allermeisten konservativen Abgeordneten sind dafür und die Labour-Opposition stellt sich im Gegensatz zu den Liberaldemokraten und der schottischen Nationalpartei nicht dagegen. Die Briten wollen die EU-Partnerschaft hinter sich lassen und in neue Gewässer segeln.

Am 9. Mai, heißt es jetzt in London, wolle Premierministerin Theresa May beim Treffen mit ihren EU-Kollegen den Austrittsantrag stellen. Dann beginnen die zweijährigen Austrittsgespräche, begleitet von Verhandlungen über die künftigen Beziehungen. Eine kurze Zeitspanne, weshalb die britische Regierung schon im Herbst begonnen hat, global Ausschau zu halten, wie man mögliche Exportausfälle und wirtschaftliche Nachteile des Brexit ausgleichen kann. „Global Britannia“, das Ideal der Brexit-Befürworter, soll eine führende Nation sein in einer Welt des Freihandels und der offenen Märkte. Vor allem in der englischsprachigen Welt und in Ländern, die man einst zum Empire zählte, in dem die Sonne nicht unterging, machten Außenminister Boris Johnson und andere Emissäre aus Brexitannien ihre Aufwartung. Auch in Washington, schon vor dem Wechsel im höchsten Amt.

Gipfel der Globaloffensive von Mays Regierung sollte jedoch der Besuch der Premierministerin beim neuen amerikanischen Präsidenten sein. Die „special relationship“ sollte bekräftigt werden, begleitet von Gesprächen, wie man künftig besser ins Geschäft kommen kann. Doch Donald Trump passt nicht so recht ins freihändlerische Kalkül der Briten. Im Weißen Haus sitzt jetzt ein unberechenbarer Protektionist, ein Vertreter des wirtschaftlichen Nationalismus, und einer, der das Geschäftemachen ein Leben lang nicht nach den Regeln der internationalen Politik handhabte, sondern nach seinen eigenen Gesetzen, geprägt vom Prinzip, dass der eigene Gewinn der entscheidende Maßstab ist.  

Trumps giftiger Pfeil

Obwohl Mays Tory-Partei traditionell ganz gut mit den Republikanern kann, ist der Populist Trump nicht ganz nach ihrem Geschmack. Dass der neue „Potus“, kaum gewählt, sich mit dem Ukip-Rechtsaußen Nigel Farage in New York traf (vor allem zum Ablichten für passende Tweets), hatte schon für Ernüchterung bei May & Co. gesorgt. Und sie haben wohl auch verstanden, dass das vollmundige Lob für den Brexit aus Washington (Trump: „großartige Sache“) nicht so sehr den mutigen Briten gilt, sondern ein vergifteter Pfeil ist, den der US-Präsident abschießt, um Europa insgesamt zu schaden.

Trump will Zwietracht und Populismus in der EU nähren, um die Union zu schwächen. Trump sieht die EU als Konkurrenz (und damit deutlich stärker, als die derzeit etwas verzagten Europäer sich selbst wahrnehmen). Die EU ist aus den Kalamitäten der Weltfinanzkrise nach 2008 besser herausgekommen als der Verursacher der Krise selbst, die Vereinigten Staaten. Die USA sind seither hoch verschuldet, und die von Trump versprochene Rückkehr zur Stärke ist damit schwerer finanzierbar. Amerikas Stärkung ist für ihn auch deshalb mit dem Ziel verbunden, die "Gegner" zu schwächen. Zu denen zählt auch China, nicht aber der russische Präsident Wladimir Putin - auch ein Oligarch, aber Trump wird die Wirtschaftsdaten Russlands schon richtig gelesen haben.

May dürfte mittlerweile gemerkt haben, dass Trump ein falscher Freund ist, der dem Brexit-Vorhaben und „Global Britannia“ in Wahrheit die notwendige Basis entzieht – den Multilateralismus nämlich, die Absicht, sich an internationale Verträge zu halten und in Kooperation den globalen Frieden zu wahren. Nur dann funktioniert weltweiter Handel, nur dann kann London zwischen den großen Wirtschaftsräumen (USA, EU, China) seinen eigenständigen Kurs steuern. Und May dürfte erkannt haben, dass Großbritannien in die schlechteste Position geraten könnte, die sich überhaupt denken lässt: zwischen den Fronten eines Machtkampfes zwischen den USA und der EU, der auch zu einem Wirtschaftskrieg führen kann.

Ein ausgebuffter Immobilienhai wie Trump hat schnell erkannt, dass May praktisch nichts in der Hand hat, was man als starke Karte ausspielen könnte. London kann so leicht zu einem Spielball werden, einem Spielball Trumps freilich. Der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron hat das schon deutlich anklingen lassen mit seinem Wort von Großbritannien als „Vasallenstaat“ der USA.

Unangenehme Situation

Die Brexit-Verhandlungen könnten damit ganz anders verlaufen als von May geplant. Denn je mehr sich in Brüssel und den EU-Hauptstädten der Eindruck verstärkt, dass die Briten das amerikanische Spiel – Schwächung der EU – mitspielen, sei es willentlich, sei es aus Schwäche und Verzweiflung, umso weniger werden sie geneigt sein, die angepeilte Handelsvereinbarung in gegenseitiger Harmonie anzugehen. Der italienische Vize-Außenminister Mario Giro warnt schon vor einem „kalten Wirtschaftskrieg“ zwischen London und der EU, weil dann allein ökonomische Interessen Leitschnur sein würden und nicht auch politische Erwägungen bislang enger Verbündeter. Aber während die Europäer wegen der starken wirtschaftlichen Verbindungen grundsätzlich auf Kompromiss und Entgegenkommen ausgerichtet sind, spielt bei Trumps Vorhaben „America first“ der Wohlstand eines kleinen Landes im östlichen Nordatlantik keine große Rolle.

Ein Handelsvertrag mit Trumps Regierung (genauer: eine Absichtsvereinbarung, denn aushandeln kann London als EU-Mitglied vorerst nichts) dürfte daher sehr stark auf US-Interessen ausgerichtet sein. Und die liegen nicht darin, Zölle zu senken (die sind übrigens ohnehin schon niedrig zwischen den USA und der EU), sondern amerikanische Produktstandards durchzusetzen. Das würde ihm in Verhandlungen mit den schwachen Briten, die ihm wenig zu bieten haben, auch mühelos gelingen. Den Versuch von May, irgendwie eine Form von Zollunion mit der EU zu retten, würde das zunichte machen. Ob das in der britischen Öffentlichkeit gut ankäme, und zwar auch bei denen, die keine EU-Freunde sind, das ist die Frage. „We want our country back“, lautete ein Slogan der Brexit-Kampagne. Aber wohl kaum, um die angebliche Vorherrschaft Brüssels einzutauschen gegen die Bestimmung aus Washington.

Eine Wendung in London?

So könnte ausgerechnet Trump Großbritannien auch wieder näher an die EU rücken. Der US-Präsident ist in Großbritannien so unbeliebt wie in den meisten europäischen Ländern. Trumps Politik der Abschottung und der Konflikterzeugung ruft schon breiten Widerspruch hervor, bis hinein in die Reihen der Konservativen. May kam nicht umhin, kurz nach ihrer Abreise aus den USA den Einwanderungsstopp zu kritisieren – bemerkenswert für eine Regierungschefin, welche die Zuwanderung ins eigene Land zügeln und lenken will. Eine Online-Petition gegen den von May vereinbarten baldigen Staatsbesuch Trumps hat 1,6 Millionen Unterschriften bekommen, das Parlament muss nun darüber debattieren. Die Gegen-Petition kam auf 114000 Unterstützer.

May hat in ihrer Grundsatzrede vor zwei Wochen gesagt, Großbritannien wolle mit dem Austritt die Europäische Union nicht unterminieren. Das wird man ihr nicht nur auf dem Kontinent als Versprechen abgenommen haben, sondern auch im eigenen Land. Angesichts der engen wirtschaftlichen Verbindungen, selbst in Derby und Hull, beruht der Wohlstand der Briten noch für längere Zeit auf den guten Beziehungen zu den EU-Partnern. May muss nun abwägen, ob sie das gefährden will durch eine stärkere Hinwendung zu Trumps Amerika – es wäre angesichts der erklärten Politik des US-Präsidenten der Bruch des Versprechens.

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