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Zwei Pässe darf behalten, wer bei Vollendung des 21. Lebensjahres acht Jahre in Deutschland gelebt oder sechs Jahre lang eine Schule besucht hat. Ein in Deutschland erworbener Schulabschluss beziehungsweise eine abgeschlossene Berufsausbildung reichen ebenfalls aus. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

© dpa

Doppelpass-Kompromiss: „Ein Bürokratiemonster“

Beide Koalitionspartner loben die Einigung zum Doppelpass – doch aus der SPD kommt auch Kritik. "Es bleibt bei einem riesigen, integrationsfeindlichen Bürokratiemonster", sagt Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig.

Nachdem am Donnerstag der Kompromiss bei der doppelten Staatsbürgerschaft bekannt wurde, versuchen nun alle Beteiligten die gefundene Lösung als eigenen Erfolg zu werten. Besonders vollmundig ist die SPD. Fraktionsvize Eva Högl erklärt die Optionspflicht, wonach sich Kinder von Migranten für eine von zwei Staatsbürgerschaften entscheiden müssen, für abgeschafft. „Dies ist ein großer Erfolg für die vielen jungen Menschen in Deutschland, die sich bisher gegen die Wurzeln ihrer Familie entscheiden mussten, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft nicht verlieren wollten“, sagte sie am Freitag. Die doppelte Staatsbürgerschaft sei ein wesentlicher Schritt zu einem modernen Staatsbürgerschaftsrecht. Und den Grundstein dafür habe die SPD in den Koalitionsverhandlungen gelegt.

In der Union sehen sie das aber ganz anders. Dort wird wiederum betont, dass die Optionspflicht gerade nicht abgeschafft werde. „Dieser Kompromiss trägt ganz klar die Handschrift der Union. Die Optionspflicht wird keinesfalls abgeschafft, und die doppelte Staatsangehörigkeit bleibt die Ausnahme und wird nicht zur Regel“, sagte der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Stephan Mayer (CSU), dem Tagesspiegel.

Doch nicht nur zwischen den Parteien verlaufen die Bewertungen unterschiedlich, sondern auch innerhalb der Lager. So kritisierte beispielsweise der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig den Kompromiss scharf. „Es bleibt bei einem riesigen, integrationsfeindlichen Bürokratiemonster“, sagte Albig.

Mehrere Länder wollen die Optionsregel komplett abschaffen

Er ist so etwas wie die Speerspitze der Opposition innerhalb der SPD. Denn zusammen mit Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg hatte Schleswig-Holstein im Bundesrat vor einigen Wochen einen eigenen Antrag eingebracht, in dem die komplette Abschaffung der Optionsregel verlangt wurde, was aber von der SPD-Spitze selbst wieder abgeräumt wurde. Zwar entspricht die Forderung der ursprünglichen SPD-Position, doch während der Koalitionsverhandlungen hatte sich die SPD auf einen Kompromiss eingelassen, in dem es heißt, dass die Optionspflicht für „in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder“ ausländischer Eltern entfalle. Und die Formulierung „aufgewachsen“ sorgt seitdem für Ärger.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) definierten das nun so: Betroffene müssen bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt haben oder sechs Jahre hier zur Schule gegangen sein. Ein Schulabschluss- oder ein Ausbildungszeugnis soll ebenfalls reichen. Kern der Vereinbarung ist zudem, dass die Ämter von sich aus im Melderegister schauen und erst dann auf die Betroffenen zugehen, wenn es Fragen gibt.

Auch in der Union ist man nicht ganz zufrieden

Die Union macht der SPD aber keine Hoffnung auf weitere Lockerungen. „Denjenigen, die den Kompromiss bei der SPD kritisieren, sollte klar sein, dass es besser für die Sozialdemokraten auf keinen Fall wird“, sagte Mayer. Aber auch in der Union sind sie nicht rundum zufrieden mit dem Kompromiss. Denn dort wollte man eigentlich gar keine Lockerung. Mayer forderte Änderungen. „Es gibt kein Gesetz, das so aus dem Bundestag geht, wie es reingekommen ist. Das erwarte ich auch in diesem Fall.“ Vor allem an zwei Punkten müsse der Gesetzentwurf seiner Meinung nach korrigiert werden. „Es darf keinen Automatismus geben, sondern, wer die doppelte Staatsbürgerschaft haben will, muss sich auch aktiv darum kümmern und bei einer Behörde vorstellig werden. Außerdem finde ich es nicht ausreichend, dass allein sechs Jahre Schulbesuch reichen, egal, ob die Schule erfolgreich abgeschlossen wurde oder nicht“, sagte Mayer.

Und auch bei den Verbänden fallen die Reaktionen unterschiedlich aus. Besondere Bedeutung hat die Doppelpass-Regelung für die türkische Gemeinde, denn EU-Bürger sowie Bürger einiger anderer Nationen dürfen bereits jetzt ohne Weiteres zwei Pässe besitzen. Die größte Migrantengruppe in Deutschland aber nicht. Der Vorsitzende der „Türkischen Gemeinde in Deutschland“, Kenan Kolat, nannte den Entwurf ein „bürokratisches Optionspflichtweiterführungsgesetz“. Er beklagte zudem, dass unklar sei, was mit denen passiere, die sich bereits für eine Staatsbürgerschaft entschieden haben. Außerdem, so die Kritik, betreffe das alles nur Kinder, die nach 1990 geboren wurden. Alle davor bekamen ohnehin nicht automatisch den deutschen Pass bei der Geburt. Das heißt, für die Elterngeneration oder ältere Geschwister ist der Doppelpass auch weiterhin nicht möglich. Zufrieden äußerte sich dagegen der Zentralrat der Muslime. Der Vorsitzende Aiman Mazyek sagte im RBB-Inforadio, dies sei „ein richtiger und wichtiger Schritt hin zu einem modernen Staatsbürgerschaftsrecht“.

Nur die Meinung der Opposition ist einhellig. Linke und Grüne kritisieren die Lösung als „faulen Kompromiss“.

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