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Politik: Doppelschlag im Fremdarbeiterviertel

Wieder ein Selbstmordattentat in Israel – drei Wochen vor dem Wahltermin / Premier Scharon greift Friedenskonzept von Herausforderer Mizna an

Von Charles A. Landsmann,

Tel Aviv

Der doppelte Terroranschlag in Tel Aviv vom Sonntagnachmittag hätte gemeiner nicht sein können: Die offenbar gezielt ausgesuchten Opfer gehörten nämlich zu den Ärmsten der israelischen Gesellschaft. Fast ausschließlich traf es Fremdarbeiter, die vor existenzieller Not und Leid aus Schwarzafrika und Fernost geflüchtet waren und sich zum Teil illegal in Israel aufhalten. Unter den von Israel ausgesperrten und zur Arbeitslosigkeit verdammten palästinensischen Taglöhnern wird diese Gruppe beneidet. Israels Innenminister Eli Jischai rief eventuell bei dem Anschlag leichter verletzte Ausländer am Abend auf, sich in Kliniken behandeln zu lassen, selbst wenn sie sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Israel aufhielten. Die Polizei befürchtete, dass sich viele „illegale“ Gastarbeiter trotz ihrer Verletzungen versteckten, um nicht ausgewiesen zu werden.

Fremdarbeiter sind nicht das erste Mal Opfer islamistischen Terrors. Aber der Doppelanschlag, dessen sich die extremistische Gruppe Islamischer Dschihad bezichtigte, galt wohl nicht in erster Linie ihnen, sondern hatte politische Ziele. Mit dem ersten Selbstmordanschlag seit November wollten die Täter offenkundig in den israelischen Wahlkampf eingreifen, in dem die Haltung zu den Palästinensern naturgemäß im Mittelpunkt steht. Ministerpräsident Ariel Scharon griff am Tag des Attentats erstmals die Nahost-Friedenspläne der oppositionellen Arbeitspartei scharf an. Die Vorstellungen von Oppositionsführer Amram Mizna, der Israels Armee innerhalb eines Jahres aus dem Gazastreifen zurückziehen will, nannte er „unverantwortlich und gefährlich“. Es war der erste öffentliche Angriff Scharons gegen die Arbeitspartei zu Beginn der „heißen Phase“ des Wahlkampfs. Scharf attackierte der Premier bei der wöchentlichen Kabinettssitzung in Jerusalem am Sonntag auch seinen Amtsvorgänger Ehud Barak, dem er vorwarf, zur Teilung Jerusalems bereit gewesen zu sein. Barak wiederum hatte Scharons Likud vorgeworfen, sich in den vergangenen zwei Jahren durch ihre harte Haltung gegenüber den Palästinensern zu „Kollaborateuren des Terrors“ gemacht zu haben.

Doch auch ihren eigenen Landsleuten, nämlich der politischen Führung um Jassir Arafat, galten die Anschläge der palästinensischen Extremisten. Nun kann Scharon seinen Todfeind für die Untaten verantwortlich machen, US-Präsident George W.Bush wird erneut ihm zustimmen und den politischen und wirtschaftlichen Druck auf die Palästinenserführung noch verstärken. Den gesprächs- oder gar kompromissbereiten Leuten aus dem eigenen islamistischen Lager schossen die Terroristen vor den Bug, bevor die geplante Wiederaufnahme der Waffenstillstandsverhandlungen zwischen islamistischer Opposition und Arafats Fatah-Bewegung und Autonomiebehörde in ein konkretes Stadium geraten ist.

Im vorigen Jahr ereigneten sich im israelischen Staatsgebiet 177 Anschläge (5264 im Westjordanland und Gazastreifen), die insgesamt 453 Tote (davon 164 Angehörige der Sicherheitskräfte) und 2344 Verletzte (604 Uniformierte) forderten. (mit dpa)

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