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Auf der Suche nach gemeinsamen Wegen. Deutsch-polnische Grenze an der Ostsee

© Getty Images/iStockphoto

Drei Ampel-Politiker fordern: Mehr Verständnis für Polen und mehr Dialog

Deutschland hat Polens Interessen nicht genug beachtet. Solidarität an der EU-Außengrenze ist nötig, aber kein Rabatt beim Rechtsstaatprinzip. Ein Gastbeitrag.

Wenig dringt aus den Koalitionsverhandlungen - auch dazu, ob und was sich unter einer Ampel-Regierung an der Außen- und Europapolitik ändern soll. Bei einem besonders kontroversen Thema, dem Umgang mit Polen, fordern unsere Gastautoren Reinhard Bütikofer (Grüne), Michael Link (FDP) und Dietmar Nietan (SPD) eine Neuorientierung. Mehr zu den Autoren am Ende ihres Gastbeitrags.

Es kracht gerade ganz gewaltig zwischen der EU-Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Gerichtshof einerseits und der polnischen Regierung andererseits. Der Streit über den zentralen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit eskaliert.

Sogar das Gespenst eines „Polexits“ geistert durch Medien und manche politischen Reden. Sollten wir tatsächlich 17 Jahre nach dem Beitritt Polens zur EU nicht mehr in der Lage sein, einen gemeinsamen Weg nach vorne zu finden?

Konrad Szymański, der polnische Europaminister, hat kürzlich bei einer Veranstaltung zum 30-jährigen Jubiläum des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages einen interessanten Satz formuliert: „Ich glaube nicht an gute Lösungen für Europa ohne Verständigung zwischen Warschau und Berlin.“

Im Alltag sind wir den Sonntagsreden nicht gerecht geworden

Der Satz signalisiert offenkundig den Wunsch nach einer Verständigung, die derzeit fehlt. Wie gerne stimmen wir dem zu! Der Satz formuliert auch Warschaus berechtigten Willen, in der EU eine wichtige Rolle zu spielen.

Dankbarkeit für Polens Beitrag zur deutschen Einheit. Der mehrjährige Protest der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc brachte den Kommunsimus zu Fall.
Dankbarkeit für Polens Beitrag zur deutschen Einheit. Der mehrjährige Protest der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc brachte den Kommunsimus zu Fall.

© AFP

Der aktuelle Streit mit Polen ändert nichts an unserem Wunsch nach guter deutsch-polnischer Zusammenarbeit. Er ändert nichts an unserem Respekt und unserer Dankbarkeit für den unschätzbaren Beitrag, den Polens friedliche Revolution 1989 zur Wiedervereinigung Europas und Deutschlands leistete. Ebenso wenig trübt er unsere Sicht auf die historische Verantwortung, die wir als Deutsche gegenüber unserem Nachbarland tragen.

Doch können wir sagen, dass die deutsche Politik gegenüber Polen im europäischen Alltag über die Jahre dem hohen Ton vieler Gedenk- und Feierreden gerecht geworden ist?

Der Gedenkort für die Opfer kommt spät

Mit dem Konzept für einen „Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen“ haben Bundestag, Auswärtiges Amt und die dafür berufene deutsch-polnisch besetzte Expertenkommission kürzlich einen guten Beitrag zu einem zukunftsweisenden Umgang mit der schwierigen Geschichte getan. Das kam spät. Nun werden wir das entschlossen umsetzen.

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Wir wollen aber nicht daran vorbeireden: Nicht immer hat Deutschland Polens Interessen gut genug beachtet. Viele Polinnen und Polen empfinden Deutschlands Einsatz für Nord Stream 2 verständlicherweise als herben Schlag. Unerbetene Ratschläge sind ebenfalls nicht gern gesehen, wie sie zum Beispiel in Fragen der Energie- oder Industriepolitik bisweilen von deutscher Seite erteilt wurden.

Ausgestreckte Hand statt erhobene Zeigefinger

Herablassung tut den Beziehungen nicht gut, zumal sie oft einher geht mit mangelndem Wissen über Polen, seine Ausgangslage und seine rasanten Veränderungen in den letzten Jahrzehnten. Es sollte nicht so sein, dass der erhobene Zeigefinger eher als die ausgestreckte Hand als die typische deutsche Geste wahrgenommen wird.

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Wir plädieren für eine erneuerte Bemühung um deutsch-polnischen Dialog, weil wir mit Polen eine ernst gemeinte Partnerschaft auf Augenhöhe wollen, in der wir durchaus oft unterschiedlicher Meinung sein können. Die Zerreißprobe zwischen der polnischen Regierung und den europäischen Institutionen kann nicht überwunden werden ohne mehr deutsche Zuwendung zu Polen.

Dies ist umso dringender angesichts der kriminellen Schleuseraktivitäten des Präsidenten von Belarus, Alexander Lukaschenko, an der EU-Außengrenze und angesichts immer massiverer Versuche Russlands, die EU zu spalten.

Keine Rabatte beim Prinzip des Rechtsstaats

In der Frage der Rechtstaatlichkeit darf es kein Rütteln an den Prinzipien der EU geben. Es ist richtig, dass die EU-Kommission im Streit um die polnische Justizreform keine Rabatte gewährt. Europas Zusammenhalt würde zerbröseln, wenn zentrale Werte nicht von allen mitgetragen werden. Dabei liegt die besondere Tragik der derzeitigen Entwicklung darin, dass die Eskalation im Widerspruch zur Europabegeisterung des größten Teils der Polinnen und Polen steht und Polen in Europa schwächt und isoliert.

An der EU-Außengrenze mit Belarus verhindert Polens Grenzschutz die illegale Einreise von Migranten mit Stacheldraht-Barrieren und Wasserwerfern.
An der EU-Außengrenze mit Belarus verhindert Polens Grenzschutz die illegale Einreise von Migranten mit Stacheldraht-Barrieren und Wasserwerfern.

© Leonid Shcheglov/BelTA/A/dpa

Etliches von dem, was in den letzten Jahren in öffentlich-rechtlichen Medien Polens über Deutschland gesendet und von Regierungsvertretern gesagt wurde, diente nicht dem Wunsch nach guten Beziehungen und stieß diejenigen, die sich dafür einsetzen, vor den Kopf. Es hilft aber nicht weiter, Polen an einen Pranger zu stellen.

Praktische Solidarität an der EU-Außengrenze mit Belarus

Wir müssen Wege offen halten zur Erneuerung der Gemeinsamkeit. Zugleich hat Polen jeden Anspruch auf unsere praktische Solidarität, wenn es Deutschlands und Europas Hilfe braucht, wie angesichts des aktuellen hybriden Angriffs an Polens Grenze mit Belarus wegen des zynischen Missbrauchs der Not von Flüchtlingen. Gesprächsfäden nicht abreißen zu lassen ist nicht bloßer Selbstzweck.

Polen, Deutschland und die ganze EU stehen vor großen gemeinsamen Herausforderungen. Wir wollen, dass dabei auch die Stimmen aus Polen in ihrer Vielfalt klar gehört werden. Wir wollen uns weiter darum bemühen, einander besser zuzuhören und einander zu verstehen. Dass in Polens Städten immer wieder Zehntausende mit EU-Flaggen auf die Straßen gehen, macht uns Mut. Auch das ist Polen.

Reinhard Bütikofer war Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen und ist seit 2009 Europaabgeordneter. Michael Georg Link war Staatsminister im Auswärtigen Amt, Direktor des OSZE-Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte und sitzt für die FDP im Bundestag. Dietmar Nietan ist Schatzmeister der SPD, Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutsch-Polnischen Gesellschaften.

Reinhard Bütikofer, Michael Link, Dietmar Nietan

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