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Von Todesangst gezeichnet. Dieses Foto aus dem Damaszener Stadtviertel Yarmouk wurde von den Vereinten Nationen verbreitet – als Appell an die Welt.

© UNWRA/AFP

Drei Jahre Bürgerkrieg in Syrien: Das heimatlose Volk

Es ist die größte Flüchtlingskatastrophe in der Geschichte des Nahen Ostens. Viele haben ihr Land völlig aufgegeben, andere irren noch zwischen den Fronten. Dabei begann alles mit einem mutigen zivilen Aufbegehren.

Das Foto erschien weltweit in über tausend Zeitungen. „Ein biblischer Anblick von Leid“ titelte die britische „Daily Mail“. Zehntausende Videos und Fotos existieren mittlerweile von dem Bürgerkrieg in Syrien, doch keines dokumentiert die menschliche Apokalypse so eindringlich wie die von Hunger und Todesangst gezeichneten Gesichter, die dicht gedrängt inmitten der Ruinen ihres Yarmouk-Viertels in Damaskus für UN-Notrationen anstehen. 23 Millionen Mal wurde das Bild weltweit per Twitter verschickt, praktisch genauso oft wie Syrien Einwohner hat. „Die Menschen sterben und sind bereits von Ratten angefressen, bevor die Nachbarn ihre Leichen überhaupt bergen können“, berichtete einer der Bewohner. „Das Lexikon der Unmenschlichkeit hat ein neues Wort – Yarmouk“, erklärte Chris Gunness, Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks.

Drei Jahre unbeschreibliche Gewalt und Verzweiflung lasten mittlerweile auf den Seelen der Bevölkerung, von der die Hälfte auf der Flucht ist. Ihre Häuser sind Ruinen, Schulen und Krankenhäuser zerstört, Bäckereien und Felder verwüstet. Ungezählte Familien haben alles verloren, ihre Angehörigen, ihre Existenz und ihr Vertrauen in die Zukunft. Gleichzeitig überfordert der Massenexodus aus Syrien immer mehr die Kräfte seiner Nachbarnationen. Gut 2,5 Millionen haben sich bisher in Libanon, Türkei, Irak, Jordanien und Ägypten in Sicherheit gebracht – die größte Flüchtlingskatastrophe in der modernen Geschichte des Nahen Ostens. Zwei Drittel von ihnen sind nach Umfragen überzeugt, dass sie ihre Heimat nie mehr wiedersehen werden. Weitere sieben bis acht Millionen irren im Landesinneren zwischen den Fronten herum.

Wochenlang den Schüssen der Sicherheitskräfte getrotzt

Syriens Herrscher Baschar al Assad.
Syriens Herrscher Baschar al Assad.

© dpa

Dabei hatten die aufständischen Bürger am 15. März 2011, der ersten landesweiten Massendemonstration gegen die Diktatur von Baschar al Assad, mit heroischem Mut versucht, sich nicht provozieren zu lassen und ihre Rechte gewaltfrei einzufordern. Wochenlang trotzten sie den Schüssen der Sicherheitskräfte, den Greifkommandos des Regimes sowie den systematischen Folterkampagnen. Dieses zivile Aufbegehren ist längst Geschichte, untergegangen in einem schier endlosen Strom von Mord und Totschlag. Hatten ein Jahr später im März 2012 bereits 8500 Männer, Frauen und Kinder ihr Leben verloren, waren es Ende des zweiten Kriegsjahres bereits 80 000, heute liegt die Zahl der Opfer bei mindestens 140 000.

Denn die Schlachten toben überall, auch um die Hauptstadt Damaskus. Städte wie Aleppo, Homs, Hama, Deraa und Deir Ezzor sind schwer verwüstet und müssen zum Teil ganz neu aufgebaut werden. Seit Sommer 2013 jedoch gewinnt die syrische Armee langsam die Oberhand, unterstützt von Eliteeinheiten der Hisbollah. An zahlreichen Fronten hat sie die Rebellen zurückgedrängt, zumal diese in den letzten Monaten schwere Kämpfe untereinander ausfochten. Noch herrscht ein militärisches Patt, doch Assad fühlt sich wieder so sicher im Sattel, dass er im Juni Präsidentenwahlen abhalten und für eine dritte Amtszeit kandidieren will.

Ein unlösbarer Konflikt?

Aufseiten der Aufständischen wird die Hauptlast der Kämpfe mittlerweile von den durch die Golfstaaten finanzierten Islamisten-Brigaden getragen, deren 45 000 Bewaffnete sich zur Islamischen Front zusammengeschlossen haben. Den moderaten Rebellen der „Freien Syrischen Armee“ dagegen mangelt es an Waffen und Munition, ihre politische Führung ist heillos zerstritten. Die Genfer Verhandlungen im Januar und Februar mit dem Regime gingen ohne jede Annäherung auseinander. Experten wie Christopher Phillips vom britischen Thinktank Chatham House sprechen inzwischen von einem „unlösbaren Konflikt“.

Denn Syrien ist ein Herzstück der arabischen Welt und zählt gleichzeitig zu den faszinierendsten Schauplätzen der Menschheitsgeschichte. Seine Hauptstadt Damaskus gilt als eine der ältesten bewohnten Ballungszentren der Welt. Die reich gesegnete Region aber war stets beides – Wiege jahrtausendealter Religionen und Kulturen sowie ewiger Zankapfel der Geschichte. Bereits in altorientalischer Zeit gerieten Syriens Bewohner immer wieder zwischen die Mühlsteine der Großmächte. Und daran hat sich nichts geändert. Heute kreuzen sich hier die Konflikte zwischen den sunnitischen Golfstaaten und dem schiitischen Iran, den USA und Russland, der Türkei und Iran, Israel und Libanons Hisbollah.

Im Inneren sind zu den Fronten zwischen Regime und Opposition weitere Kampflinien hinzugekommen – zwischen Nachbardörfern und Nachbarstadtteilen, zwischen radikalen Gotteskriegern und moderaten Rebellen, zwischen Kurden und Arabern, sowie zwischen Sunniten, Alawiten, Drusen, Schiiten und Christen. Und selbst wenn sich eines Tages ein Waffenstillstand erreichen ließe, ein geeintes Syrien wird es wohl nicht wieder geben. Düster fällt das Fazit aus von Robert Ford, der das erste Jahr des Volksaufstandes noch als US-Botschafter vor Ort miterlebte. „Das Syrien, was es einmal gab, existiert nicht mehr“, sagte er auf einer Konferenz in Boston. „Am Ende übrig bleiben wird ein Land, zerstückelt in kleine Kantone und beherrscht von rivalisierenden Warlords.“

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