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Dreikönigstreffen: Die FDP im Abstiegskampf

Es sollte der Aufbruch in ein besseres Jahr für die FDP werden. Und Parteichef Philipp Rösler legte sich beim Dreikönigstreffen in Stuttgart auch mächtig ins Zeug. Bis eine Nachricht alles veränderte. Am Ende bleibt nur noch Rainer Brüderle gelassen.

Von Antje Sirleschtov

Es ist 12 Uhr 40 am Freitagmittag, und Philipp Rösler ist wahrscheinlich der Einzige, der nichts von der Katastrophe ahnt. Er weiß es schlicht nicht, er hat sein Handy nicht dabei, und selbst, wenn es jetzt in seiner Tasche leise vibrieren würde, drangehen könnte er sowieso nicht. Denn er steht oben auf der Bühne, hinter einem Rednerpult, und soll gerade das Unmögliche vollbringen: die FDP im Stuttgarter Staatstheater aus ihrer Agonie befreien, der Partei in ihrer schwersten Krise mit Umfragewerten von zwei Prozent eine Perspektive geben. Rösler hat ein paar hundert Leute vor sich, und er redet und redet. Schon fast eine Stunde, über Wachstum und Zuwanderung und Zukunft.

Die da unten lesen es per Eilmeldung auf ihren Smartphones um 12 Uhr 40 alle, sie tuscheln, sie reichen ihre Handys weiter, manche drängeln sich aus den Reihen hinaus. Und es ist mehr als ein böses Omen in diesem Augenblick. Es ist Tatsache und ein Sinnbild: Er da oben weiß nichts davon, dass nur ein paar Kilometer entfernt, im Saarland, die Jamaika-Koalition von CDU, Grünen und der FDP begraben wird.

Die Atmosphäre im Parkett und den Rängen wird immer gespenstischer. Wieder eine Regierung weniger, an der sie beteiligt sind. Rösler steht hinter seinem gelben Pult und spricht weiter gegen den sich vor ihm ausbreitenden Schock an: Von den Erfolgen der FDP, weiß er zu berichten, von ihrer Zukunft, dass niemand verzagen soll und dass alles bald besser werden wird.

Eine Viertelstunde später, der FDP-Chef ist zum Ende gekommen mit seiner Rede und verbeugt sich vor den Applaudierenden, wird ihm Patrick Döring, sein Generalsekretär, die Nachricht zuflüstern. Rösler wird kurz erbleichen und den Kopf schütteln. Dann ist er weg. Schlimmer hätte es für ihn an diesem Tag nicht kommen können.

Jeder weiß, dass stimmt, was die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer als Ursache für den Bruch angibt. Schuld hat nur einer: die FDP. Die Stimmung bei den Parteimitgliedern ist mies. In einer angesehenen Wochenzeitung konnten sie dieser Tage bestätigt sehen, wie viel man von ihnen hält. Offen wird dort bezweifelt, dass es die FDP noch braucht. Und Rösler, den ohnehin angeschlagenen Vorsitzenden, verlässt zu allem Ärger nun auch noch das Glück. Vollständig. Denn wer wird sich in vier Wochen noch an diesen Freitag in Stuttgart, der als Aufbruch zum Besseren der FDP gedacht war, erinnern?

Im Saarland zeigt sich nach der Weihnachtspause auf drastische Art, wie ausgezehrt die Liberalen sind. So sehr, dass eine Koalition mit ihnen zu führen, und sei es auch nur eine kleine, nicht mehr möglich erscheint. Man kann das auch als Menetekel sehen. An der Saar haben sie sich mit besonders kruden Personalquerelen überflüssig gemacht.

Dabei ging es nur darum, einen Fraktionsvorsitzenden zu wählen. Keine große Sache eigentlich, die Fraktion ist klein, besteht aus vier Personen. Doch alle sind sie politisch beschädigt, seit die Affäre um die liberale Saarbrücker Stiftung „Villa Lessing“ die Partei 2010 spaltete. In jenem Sommer hatte der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Horst Hinschberger, Strafanzeige gegen mehrere führende Parteikollegen gestellt. Einer der Angeschuldigten war der Ehrenvorsitzende der Saar-FDP, Werner Klumpp. Der Vorwurf: Untreue im Umgang mit Stiftungsgeldern, falsche Rechnungen, Scheinverträge.

Der FDP-Landesvorsitzende Christoph Hartmann stellte sich hinter Hinschberger, der die Attacke gegen die eigenen Leute ritt. Weil sich herausstellte, dass sich die Vorwürfe nicht erhärten würden, stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein. Doch erledigt war die Sache damit nicht. Klumpp schlug zurück Hinschberger musste im November 2010 seinen Posten als Fraktionsvorsitzender und Hartmann den seinen als Parteivorstand räumen.

Die Anwesenden haben Angst vor einem Siechtum der Partei

Das Erbe dieses lokalen Streits war eine zutiefst zerstrittene FDP-Landschaft und ein Fraktionsvorsitz, der dem einzigen Unbelasteten, nämlich Landtagsneuling Christian Schmitt zufiel. Der musste sich sogleich einer Intrige erwehren, die ihn mit rechtsradikalen Kreisen in Verbindung zu bringen versuchte. Kurz vor Weihnachten trat er überraschend zurück und wechselte überdies zur CDU-Fraktion.

Seither ist sein Posten vakant. Ex-Landeschef Hartmann will Wirtschaftsminister bleiben. Karl-Josef Jochem hängt an seinem Amt als Vizeparlamentspräsident. Christoph Kühn, als designierter Schmitt-Nachfolger ins Spiel gebracht, steht wegen einer Dienstwagenaffäre in der Kritik und verzichtete. Und Hinschberger, der den Posten schon inne hatte, ist für viele nicht tragbar. Wäre es nicht so schrecklich wahr, in dieser Situation von einer kleinen Partei zu sprechen, man könnte die Dinge gelassener nehmen.

Einer, der sie gelassen zu nehmen pflegt und die FDP seit Jahrzehnten mit seiner Art mit prägt, ist Rainer Brüderle. Ein Urgestein der Partei, heute Fraktionschef in der Koalition in Berlin und in den Augen vieler so etwas wie der heimliche Übervorsitzende. Über Weihnachten hat Brüderle zu seiner Frau gesagt, er braucht mal eine Pause, will ausspannen und über die Partei nachdenken. Also rein ins Flugzeug und weit weg, nach Florida. Aus der Ferne sieht man die Dinge ja manchmal klarer und vor allem mit etwas mehr Gelassenheit.

Und so ist es dann auch gekommen: An diesem schwarzen Freitag steht Rainer Brüderle im Staatstheater in Stuttgart, und um ihn schleichen die Parteifreunde mit besorgten Mienen herum. Er aber will sich von der ganzen Niedergeschlagenheit kein bisschen anstecken lassen. „Ruhig Blut“, sagt er, steckt die Hände in die Hosentaschen und guckt munter um sich. Von wegen Todesstoß: Schon viermal ist die FDP in den letzten Jahrzehnten politisch beerdigt worden, sagt er. Und was ist passiert? „Wir sind immer noch da.“

Gibt die Hoffnung noch nicht auf und verbreitet Zuversicht: Rainer Brüderle.
Gibt die Hoffnung noch nicht auf und verbreitet Zuversicht: Rainer Brüderle.

© dpa

Das ist wahr. Aber auch kein Trost angesichts anstehender Wahlen in Schleswig-Holstein im Frühjahr und in Niedersachsen Anfang 2013. Was wenn die verloren gehen, ähnlich wie in Berlin im Desaster enden, und die FDP am Ende aus dem Bundestag fliegt?

Es fehlt beim Auftakttreffen in Stuttgart jemand, der das Desaster seit Langem ahnt. Und dass er fehlt, sagt schon viel darüber, wie weit die Auflösung der FDP fortgeschritten ist. Man muss dazu wissen, dass es Tradition ist in der Partei, bei diesem Treffen im Januar den Landesverbänden Mut zuzusprechen, die in den folgenden Monaten in den Wahlkampf ziehen. Und in diesem Jahr wird das der Landesverband Schleswig-Holstein sein. Doch weder der dortige Fraktionschef Wolfgang Kubicki noch Spitzenkandidat Heiner Garg sind nach Stuttgart gereist. Obwohl ihnen Rösler einen Auftritt angeboten hatte, meiden die Nord-Liberalen das Aufmunterungsevent. Auch durch Abwesenheit kann man politische Botschaften senden. Kubickis ist ziemlich einfach. Er hält die Parteispitze um Rösler für einen wahlkampftaktischen Totalausfall.

Die, die gekommen sind, senken die Köpfe. Es ist vielleicht noch nicht die Angst vor dem nahen Tod ihrer großen alten Partei in sie gefahren. So weit sind sie wohl noch nicht. Aber Angst vor einem Siechtum haben sie allemal. In Bayern hat über den Jahreswechsel ein ganzer Kreisvorstand das Handtuch geworfen. Nicht zurückgetreten sind die Leute, gleich ausgetreten sind sie aus der Partei. Aus Protest, oder vielleicht auch nur, weil sie den Untergang ihrer FDP nicht weiter miterleben wollen. Und jetzt die Sache in Saarbrücken. „So schlimm wie jetzt“, sagt ein altgedienter Baden-Württemberger Liberaler, so schlimm sei es noch nie gewesen.

Und von Erlösung oder gar einer Kehrtwende zum Besseren ist an diesem Tag in Stuttgart weit und breit nichts zu sehen. Durchhalteparolen hat es viele gegeben, am Vormittag. Von Dirk Niebel, von Birgit Homburger und auch vom neuen Generalsekretär. Nun warten alle auf Rösler. Er soll der Partei neue Inhalte geben, einen Sinn, etwas, wofür es sich lohnt zu kämpfen. Es ist kurz vor zwölf Uhr mittags, der Himmel grau, die nahe Einkaufsmeile menschenleer, als Rösler die Bühne betritt.

Den Journalisten hat er am Abend zuvor mit fester Stimme zugerufen, er wisse, was er will, nämlich seine Partei wieder in den Umfragen nach oben bringen, sie wählbar und erfolgreich machen. Rösler hat, seit er im letzten Frühjahr das hohe Amt übernommen hat, schon viel versprochen. „Liefern“ wollte er etwas, ein neues Programm erarbeiten, sich mit Kirchen und Gewerkschaften treffen, dem Außenminister künftig Weisungen erteilen und zum Schluss sogar die Griechen in die Insolvenz schicken.

Geholfen hat das seiner Partei nicht ein bisschen. Ideenarm und führungsschwach, so nennen sie ihn. Und seit ausgerechnet sein engster Vertrauter aus Niedersachsen, der neue Generalsekretär Patrick Döring, die Öffentlichkeit wissen ließ, dass Rösler mitunter die Zeilen der Interviews zählt, die mit Rainer Brüderle geführt werden, um sich hinterher zu beklagen, dass ihm in den Zeitungen nicht so viel Platz eingeräumt wird, wirkt er zu allem Überfluss auch noch lächerlich.

Rösler gibt die Parole "Wachstum" aus - Lindner bleibt still

Doch an diesem Freitag will Rösler den Wendepunkt setzen. In Röslers Plan für die schillernde Zukunft der FDP wird zunächst einmal gründlich aufgeräumt. Und zwar mit zehn Jahren Parteigeschichte, mit zehn Jahren Guido Westerwelle. „Mehr Netto vom Brutto“, oder: „Wer arbeitet, soll mehr haben als der, der nicht arbeitet“. All diese Sätze, die Westerwelle jahrelang auf den Marktplätzen gerufen hat und die aus der FDP die einzige Partei in Deutschland machen sollten, die Handwerker, Verkäuferinnen und Kleinunternehmer vor dem gierigen Zugriff der anderen schützt, will Rösler nun mit einem Federstrich entsorgen.

Denn jetzt, in der Finanz- und Euro-Schuldenkrise, wollen selbst die, die vor gut zwei Jahren bei der Bundestagswahl noch FDP gewählt haben, lieber Schulden abbauen. Das hat Rösler erkannt. Und daraus den Schluss gezogen, Westerwelles „vergessene Mitte“ fortan in der FDP vergessen zu machen.

Mit versteinerter Miene hört sich Westerwelle auf dem Podium das an, nur ausnahmsweise applaudiert er. Es ist ein glatter Bruch, der nicht nur ihn, sondern auch viele andere Liberale wie Hermann Otto Solms und Rainer Brüderle vor den Kopf stößt, die den Kurs lange Jahre getragen haben. Das nimmt Rösler offenbar in Kauf. Kein einziges Mal wird der FDP-Vorsitzende an diesem Freitag in seiner gut einstündigen Rede das Wort von der Steuerentlastung verwenden.

Doch wenn nicht mehr richtig sein soll, was vor zwei Jahren richtig war und der FDP das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte eingetragen hat, was noch im Sommer – auch von Rösler selbst inszeniert – zum Krach mit dem Koalitionspartner geführt hat und selbst nach dem letzten Koalitionsgipfel im Herbst von der FDP-Spitze wie eine Trophäe vorgezeigt wurde, nämlich die Senkung der Steuern, was soll stattdessen kommen?

„Wachstum.“ Wachstum?

„Nur mit Wirtschaftswachstum“, begründet Philipp Rösler seine neue liberale Strategie, „können Arbeitsplätze geschaffen und soziale Sicherheit erreicht werden.“ Auch dieses, das Rösler’sche Einmaleins des Marktliberalismus, ist als Volte angelegt. Heftig kritisiert er, wer sich in diesen Zeiten der Finanz- und Schuldenkrisen mit der Endlichkeit des Wachstums beschäftigt. „Wenn alle anderen Parteien sich vom Wachstum distanzieren, dann braucht Deutschland eine Partei, die sich klar dazu bekennt.“ Das ist das Credo dieses FDP-Vorsitzenden. Ist es auch eine Perspektive?

Als er noch nicht da oben war, galt er in der Partei als Vertreter einer gesellschaftsliberalen Ausrichtung, die sich mit der Freiheit der Menschen, mit Bildungsfragen, der inneren Verfasstheit der Gesellschaft befassen will. Aber schon nach ein paar Monaten als Wirtschaftsminister ist das für ihn offenbar passé.

Nur einer, der hat besonders engagiert geklatscht. Den Kopf nach oben gereckt und seine Zähne gezeigt. Der Mann saß übrigens in Reihe vier, wo sich vor Beginn der Kundgebung zahlreiche namhafte FDP-Politiker artig zum Gruß einfanden. Er hat die Ehrbekundungen freundlich und, soweit man das aus einiger Entfernung beurteilen kann, mit charmanten Gesprächseinlagen pariert. Vor gut zwei Wochen hat er eines der wichtigsten Ämter der FDP, das des Generalsekretärs, mit einem lauten Knall hingeschmissen.

Weil er keinen gemeinsamen Weg mehr mit Philipp Rösler gefunden hat. Das war hässlich. Man könnte annehmen, die Liberalen meiden ihn jetzt. Doch so ist es nicht. Vielleicht denkt sich ja mancher, der Christian Lindner an diesem Freitag die Hand schüttelt, man könnte ihn noch mal brauchen. Zum Beispiel, wenn Anfang Mai in Kiel die Wahlergebnisse nicht besser als die jetzigen Umfragen sind.

Alte Haudegen wie Rainer Brüderle würden bei diesem Gedanken verschmitzt das rechte Auge zudrücken. „Seh’n Sie, sag’ ich doch: Es geht immer irgendwie weiter.“

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