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Politik: Dreißig Jahre zu wenig Geld

"Wir haben 24 Stunden Zeit, unseren nationalen Gesundheitsdienst zu retten", mahnte die Labourwerbung am Tag vor der Wahl. Das war 1997.

"Wir haben 24 Stunden Zeit, unseren nationalen Gesundheitsdienst zu retten", mahnte die Labourwerbung am Tag vor der Wahl. Das war 1997. Viereinhalb Jahre später ist den Briten immer noch nicht klar, wie es mit ihrem "National Health Service" (NHS) weitergehen soll. Nur eins wissen sie: Mehr Geld muss her.

Der NHS war die große Reformleistung, um die das Vereinigte Königreich nach dem Krieg vom Rest der Welt beneidet wurde. Heute sind es allerdings die Briten, die neidisch nach Europa sehen. Mehr als eine Million Patienten standen im März 2001 auf der Warteliste eines Krankenhauses, 158 000 länger als 18 Monate. Nach Angaben der OECD liegt Großbritannien bei Lebenserwartung, Kindersterblichkeit und Überlebensquoten bei Herzkrankheiten weit hinter der Spitzengruppe der Industriestaaten zurück.

30 Jahre Unterfinanzierung, berechnete ein von der Labour-Regierung bestellter Bericht des früheren Bankdirektors Derek Wanless, hat im Vergleich zum europäischen Durchschnitt zu einem Investitionsdefizit von 267 Milliarden Pfund (rund 801 Milliarden Mark) geführt. Darauf berief sich Labour-Schatzkanzler Gordon Brown, als er in seinem Etatentwurf für 2002 erklärte: "Wir müssen einen viel höheren Anteil unseres Nationaleinkommens auf den NHS verwenden". Gemeint waren höhere Steuern - Experten zufolge rund fünf Prozentpunkte. Damit sollen die britischen Gesundheitsausgaben auf das kontinentale Niveau gehoben werden.

Im vergangenen Jahr wurden 700 Millionen Pfund der bewilligten Mittel gar nicht ausgegeben. Denn es fehlt neben Geld an Planungskapazität, Personal und Initiative. "Unsere Versorgungsstrukturen sind nicht geeignet, die Herausforderungen einer Gesundheitsversorgung für das 21. Jahrhundert zu bewältigen", folgerte der Wansall Bericht - und rühmt dennoch das System für Effizienz und Kostenkontrolle. Die britische Opposition spricht von einem "stalinistischen Zuteilungsmonopol". Aber kontinentale Gesundheitspolitiker sehen angesichts ihrer eigenen Kostenexplosion immer wieder neidisch über den Kanal. Unterkapazitäten sind eben die beste Rationierung.

Nun sucht Labour nach einem dritten Weg: Private Versorgungskapazitäten sollen in das System gebracht werden, ohne aber eine private Finanzierung einzuführen. Der Gesundheitsminister lockt kontinentaleuropäische Anbieter auf die Insel, die Kliniken bauen sollen. Spanische Ärzte kriegen Schnellkurse im Lancashire Dialekt. Das Gesundheitsamt West Sussex hat schon einmal 160 Hüftoperationen in Deutschland gebucht.

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