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Berlin, Bebelplatz, ehemals Opernplatz. Ein Mahnmal erinnert an die Bücherverbrennung der Nazis im Mai 1933.

© Kai-Uwe Heinrich

Dresden und Chemnitz: Die Ängste von Faschisten ernst nehmen?

Überfremdung, Vorverurteilung, Generalverdacht gegen Sachsen? Eine zeithistorische Kolumne über das Unterschätzen von Faschisten.

Eine Kolumne von Malte Lehming

Damit kein Missverständnis entsteht: Deutschland ist eine stabile Demokratie. Es droht keine Machtergreifung von rechts. Doch nun zur Sache.

Die erste Bücherverbrennung der Nazis fand am 7. März 1933 in Dresden statt. Das war nur zwei Tage nach der legendären Reichstagswahl, bei der die NSDAP zwar stärkste Partei wurde, aber mit 43,9 Prozent die absolute Mehrheit verfehlte. Zwei Wochen später, am 23. März 1933, verabschiedete der Reichstag das Ermächtigungsgesetz, das es Adolf Hitler erlaubte, am Parlament vorbei seine Politik durchzusetzen. Es war eine sehr turbulente Zeit.

An jenem 7. März loderte das Feuer in Dresden vor der Volksbuchhandlung an der Großen Meißner Straße, einen Tag später loderte es erneut am Wettiner Platz. Gegen 16 Uhr war das Verlagsgebäude der sozialdemokratisch geprägten „Dresdner Volkszeitung“ von Einheiten der Sturmabteilungen (SA) besetzt worden. Sie sperrten den Platz ab, holten aus dem Verlagsgebäude Parteiliteratur, Belletristik und diverse Zeitungen und errichteten einen Scheiterhaufen. Das Feuer brannte bis in die Abendstunden. Ein zeitgenössisches Foto zeigt einen bewaffneten Polizisten, der dem Treiben zusieht, ohne einzugreifen.

Gegen eine "Verfälschung unserer Geschichte"

Was auf Dresden folgte, ist bekannt. Von März bis Oktober 1933 inszenierten die Nationalsozialisten fast hundert Bücherverbrennungen in siebzig Städten. Als Höhepunkt dieser Autodafés gilt der 10. Mai. Auf dem Berliner Opernplatz warfen Vertreter der Studentenschaft unter lautem Gejohle des Publikums die Werke von 94 Autoren in die Flammen. Zu den verfemten Autoren gehörten Erich Kästner (der auch Augenzeuge war), Heinrich Mann, Kurt Tucholsky, Magnus Hirschfeld, Sigmund Freud, Karl Marx.

Die „Feuerrufer“ drückten aus, worum es ihnen ging. Gegen „Dekadenz und moralischen Zerfall“, gegen „Verfälschung unserer Geschichte und Herabwürdigung ihrer großen Gestalten“, für „Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit“, gegen „volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung“, gegen „Frechheit und Anmaßung“, für „Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist“.

Am späten Abend des 10. Mai redete der Reichspropagandaleiter der NSDAP und Gauleiter von Berlin, Joseph Goebbels, zu den Studenten. „Diese Revolution kam nicht von oben“, rief er ihnen zu, „sie ist von unten hervorgebrochen, sie ist deshalb im besten Sinne des Wortes der Vollzug des Volkswillens.“ In sein Tagebuch notierte Goebbels später über seine Rede: „Ich bin in bester Form. Riesenauflauf.“

"Es war ein rein symbolischer Akt"

Julius Ferdinand Wollf war am 7. März 1933 Chefredakteur und Mitverleger der „Dresdner Neuesten Nachrichten“ (DNN). Er stammte aus Koblenz, hatte Philosophie, Geschichte, Volkswirtschaft sowie Kunst- und Literaturgeschichte studiert. Bevor er in den Journalismus ging, wirkte er als Dramaturg am Theater in Karlsruhe. Er war ein „Homme de lettres“, ein Mann der Schrift, des Wortes, des Geistes.

Knapp dreißig Jahre lang hatte Wollf an jenem 7. März 1933 bereits die DNN geleitet. Er war bestens in der Stadt vernetzt, war beteiligt an der Gründung des Hygienemuseums, Mitglied im Verband Sächsischer Industrieller und im Verein Deutscher Zeitungsverleger, Vize-Vorsitzender des Rotary Clubs in Dresden. Als Jude war er geboren worden, später ließ er sich taufen, wurde Christ. Politisch pendelte er zwischen Nationalismus und Liberalismus. Die Gefahren des Nationalsozialismus unterschätzte er, rief seine Mitarbeiter sogar dazu auf, der NSDAP beizutreten, damit es mehr anständige Menschen bei den Nazis gibt.

Ende März 1933 wurde Wollf aus dem Amt gedrängt, weil die DNN, wie es in einer Hausmitteilung hieß, „zu 92,5 Prozent auf arisches Kapital gestützt“ sei. Das aber ahnte Wollf nicht, als er in einem Kommentar in der DNN am 8. März schrieb:

„Natürlich schmerzt es, wenn Bücher brennen. Aber wir sollten vorsichtig mit unserem Urteil sein. Menschen kamen nicht zu Schaden. Es war ein rein symbolischer Akt. Auf keinen Fall darf es einen Generalverdacht gegenüber Deutschen, Sachsen, Dresdnern geben. Viele Menschen fühlen sich kulturell überfremdet. Solche Ängste müssen wir ernst nehmen. Und wir dürfen das Gespräch mit diesen Menschen nicht abreißen lassen. Wer die faschistische Bewegung verunglimpft, stärkt sie nur.“

Alles an dieser Kolumne ist richtig. Nur der Kommentar von Julius Ferdinand Wollf ist frei erfunden. Er hat ihn nie geschrieben. Es könnte allerdings sein, dass die Sätze irgendwie vertraut klingen.

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