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© dpa

Dresdner Mordprozess: Stiche ins Herz

Vor vier Monaten wurde hier seine Frau getötet, er selbst wurde verletzt. Nun ist der Ägypter Elwy Okaz wieder hergekommen ins Dresdner Landgericht, um im Prozess auszusagen. Der Täter indessen schweigt. Aber es gibt Leute in der Stadt, die fühlen sich von ihm ermutigt

Das Dresdner Landgericht ist ein Justizgebäude wie viele in Deutschland, ein trutziger Bau im Geschmack der Reichsgründungszeit Ende des 19. Jahrhunderts, Herrschaftsarchitektur, eine Sandsteinburg. Am Morgen des 1. Juli fand hier in Saal 10 ein Beleidigungsprozess statt, der mit einem Massaker endete. Die Gutachter zählten später 16 Messerstiche im toten Körper von Marwa el-Sherbini, einer 31-jährigen ägyptischen Apothekerin, „wobei elf zur Eröffnung der Brustkorbhöhlen“ führten, Der Bericht der Ärzte verzeichnet unter anderem „An- und Durchspießungsverletzungen“ beider Lungenflügel, die Durchtrennung des Herzbeutels, Verletzung von Leber und Milz. Zwei Stiche zertrümmerten das rechte Schulterblatt, ein Stich in die Brust durchspießte die rechte Herzkammer von Marwa el-Sherbini, die im dritten Monat mit ihrem zweiten Kind schwanger war. „Sie verstarb gegen 11.07 Uhr noch am Tatort“, heißt es in der Anklageschrift gegen Alex W., den Mann, der jetzt deswegen auf der Anklagebank sitzt. Todesursache: Verbluten nach innen.

Montagfrüh, gestern, dasselbe Gebäude. Es wird in den kommenden anderthalb Wochen von 200 Polizisten bewacht. Nur ein paar Türen vom Ort entfernt, an dem das Leben von Marwa el-Sherbini endete, sitzen Alex W. und el-Sherbinis Ehemann Elwy Okaz in einem Raum. Der 32-jährige Doktorand Okaz, der für seine Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Zellbiologie und Genetik mit seiner Frau 2005nach Dresden gezogen war, wirkt in Wirklichkeit jungenhafter und schmaler als auf dem Hochzeitsbild, von dem ihn inzwischen alle Welt kennt. Er hatte am 1. Juli seiner Frau zur Hilfe kommen wollen, auch ihn traf Alex W.s Messer 16 Mal. Nach zwei Operationen braucht er noch Krücken – der Bundespolizist, der ihn fälschlich für den Täter hielt, hatte ihm am Tattag in den Oberschenkel geschossen. Elwy Okaz spricht konzentriert und in lebhaften Gesten mit seinem Bonner Anwalt. Er ist an diesem Tag nicht nur Nebenkläger im Prozess gegen Alex W., er ist auch der erste Zeuge.

Der Mann ihm gegenüber spricht gar nicht. Er trägt einen Kapuzenpulli, aber vor allem trägt er Kapuze. Er müsse um sein Leben fürchten und wolle deshalb keine Bilder, so begründet sein Anwalt die Weigerung seines Mandanten, sich von seiner Camouflage zu trennen – was ihm ein Ordnungsgeld von 50 Euro einträgt. Bilder von ihm kursieren seit langem im Internet, Zeitungen haben sie gedruckt. Womöglich braucht er die Schutzhülle vor allem, um nicht in das Gesicht des Mannes zu sehen, dessen Frau er getötet hat. Alex W., ein schmaler 28-Jähriger, wendet sich mehrfach ab. Schließlich verbirgt er das blasse Gesicht nur noch mit beiden Händen, oder es verschwindet im Dunkelblau des Pullovers.

Im Sommer vergangenen Jahres hatte Alex W. Marwa el-Sherbini auf einem Spielplatz zum ersten Mal gesehen. Er und seine Nichte besetzten die beiden einzigen Schaukeln. Seine Frau Marwa, berichtet Elwy Okaz vor Gericht, habe ihm etwas Zeit geben wollen, aber als ihr dreijähriger Sohn Mustafa drängte, er wolle schaukeln, ging sie auf den unbekannten Mann auf der Schaukel zu und fragte, ob er nicht die Schaukel für das Kind freigeben könne. Doch Alex W. beschimpfte el-Sherbini, die ein Kopftuch trug, stattdessen als „Islamistin“ und „Terroristin“. Auch ihr Sohn werde, wenn er groß sei, einmal ein Terrorist. Leute wie sie hätten auf dem Spielplatz und in Deutschland nichts zu suchen. Die Sache landete vor Gericht, nachdem Eltern, die die Szene mit ansahen, eingegriffen hatten und einer Marwa el-Sherbini sein Handy geliehen hatte, damit sie die Polizei holen konnte.

Die ungeheure Wut, mit der Alex W. auf Marwa el-Sherbini eingestochen hat, kann ihren Grund nicht in ihrer Person haben. Sie hat in dem folgenden Beleidigungsverfahren nicht einmal besonderen „Belastungseifer“ gezeigt, wie es in der Anklageschrift gegen Alex W. heißt. Als es darum ging, ob sie auch als „Schlampe“ beleidigt worden sei, habe sie erklärt, das Wort habe sie nicht gehört. Auch den Beleidigungsprozess hat sie nicht aus eigener Initiative angestrengt. „Sie bekam eine Vorladung, als Zeugin auszusagen“, sagt ihr Mann jetzt. Auch beim zweiten Termin – Alex W. wollte seine Geldstrafe nicht akzeptieren, der Staatsanwalt forderte eine höhere – gab es keine heftige Reaktion von ihr, nicht einmal, als Alex W. von ihr wissen wollte, was sie in Deutschland zu suchen habe. Auch ihr Mann spricht sachlich über das Geschehen, beantwortet alle Fragen überlegt, einige davon auch statt auf Arabisch in gutem Deutsch. „Unser Plan war, dass Marwa hier als Apothekerin arbeiten würde und ich nach dem Doktorat eine Stelle finden würde“, sagt Elwy Okaz. In Deutschland oder anderswo in Europa. Doch am Ende dieses Gerichtstermins war Marwa el-Sherbini tot. Okaz sagt, er habe seine Wohnung noch in Dresden, der kleine Sohn Mustafa lebt inzwischen bei der Familie seiner Mutter in Ägypten. Die Schöffin fragt, ob er weiter hier leben wolle: „Nach dem, was geschehen ist, habe ich kein gutes Gefühl mehr, in Dresden zu sein.“

Draußen ist Dresden in diesen Tagen wie immer. Der traurige Ruhm, Schauplatz des mutmaßlich ersten offen islamophoben Mords in Deutschland zu sein, hat vorerst noch nichts Sichtbares bewegt. Das Aktionsprogramm der Stadt gegen Rassismus, das die Oberbürgermeisterin nach dem Mord auflegen wollte, ist zum Prozessauftakt nicht fertig geworden. „Das Tempo ist raus“, sagt Ahmad Aslaoui, Vizevorsitzender des Islamischen Zentrums Dresden und Mitglied der Runde, die nach dem Tod von Marwa el-Sherbini vom Rathaus zusammengetrommelt wurde. „Am Anfang waren sie dort heiß und emotional angesprochen“, aber das sei vorbei.

„Es hat sich etwas verändert seit damals“, sagt Inam Sayad Mahmood. „Die Unfreundlichen sind frecher geworden.“ Die irakische Elektroingenieurin, die mit ihrem Mann und zwei Kindern vor dem Saddam-Regime floh und seit 13 Jahren in Dresden lebt, ist stellvertretende Vorsitzende im Ausländerrat der Stadt. Vor allem bei den Muslimen sei unmittelbar nach dem Tod von Marwa el-Sherbini eine „Angst vor allem Deutschen“ zu spüren gewesen. In der Gesprächsgruppe muslimischer Frauen in el-Sherbinis Stadtviertel, die man nach dem 1. Juli gegründet habe, hatte ohnehin „jede ihre Erfahrungen“, sagt Mahmood. Wie die der Frau, die einer gebrechlichen Alten auf der Straße helfen wollte und von ihr angespuckt wurde: „Nimm dein Kopftuch ab.“ Alex W., der Marwa el-Sherbini erstach, hatte im Beleidigungsprozess erklärt, die Kopftücher muslimischer Frauen beleidigten Deutschland, seine Geschichte und Kultur und damit ihn selbst. Die 53-Jährige, eine lebhafte Frau, der man zutraut, dass sie nicht lange fragt, bevor sie anpackt, sagt, sie habe diese Angst selbst an sich gespürt. „Noch zwei Wochen nach der Tat habe ich die Viertelstunde zum Bahnhof nicht allein geschafft. Ich weiß, dass sich viele Frauen mit Kopftuch „nicht mehr aus dem Haus trauten. Ich konnte das nicht, ich hatte ja meine Arbeit. Und ich bin sowieso nicht der Typ für zu Hause.“ Sayad Mahmood vermeidet es seitdem trotzdem, sich mit mehr als einer weiteren Kopftuchträgerin auf der Straße zu zeigen.

Auch in der ägyptischen Öffentlichkeit wurde die gewaltsame Tötung von Marwa el-Sherbini als Indiz für eine wachsende Islamfeindlichkeit in Deutschland wahrgenommen. Der bekannte Schriftsteller Alaa al-Aswany kritisierte, dass Angela Merkel nicht sofort der Familie el-Sherbini ihr Mitgefühl ausgedrückt habe. Sie denkt wahrscheinlich, wenn sich eine deutsche Kanzlerin bei einer arabisch-muslimischen Familie entschuldigen soll, ist das zu viel verlangt“, sagte er.

Wie groß die Emotionen sind, zeigt sich auch daran, dass zwei Konzerte, die die Dresdner Staatskapelle zum Gedenken an Marwa el-Sherbini in Kairo und Alexandria geben wollte, vorläufig vom ägyptischen Kulturministerium abgesagt wurden. Offenbar befürchtete Kairo unschöne, vielleicht sogar gewalttätige Zwischenfälle. Ob es am Wochenende nun zu den Konzerten kommen wird, ist derzeit noch offen.

Die Dresdnerin Sayad Mahmood, die neben ihrer Arbeit als Islamreferentin auch ehrenamtlich Abschiebehäftlinge betreut und als Gemeindedolmetscherin anderen Migranten hilft, bleibt für die Zukunft trotz aller derzeitigen Ängste optimistisch: „Doch man kann aufklären. Und Aufklärung nutzt.“ Wenn sie zum Ethikunterricht an sächsischen Schulen eingeladen wird, in christliche Gemeinden, oder um zu Weiterbildungen von Lehrern und Katecheten über den Islam zu informieren, stellt sie immer fest, dass es durchaus Menschen gibt, die nachfragen, die etwas wissen wollen.

Wenn sie allerdings auf die anderen trifft, auf diejenigen, die nicht fragen, die nichts wissen wollen, dann, sagt Mahmood, „bitte ich Gott, dass er mir hilft, ruhig zu bleiben.“ Es sind Menschen, die ihre gusseisernen Überzeugungen herunterbeten: dass Muslime in Deutschland nichts zu suchen, dass die Kopftücher von deutschen Straßen zu verschwinden hätten, dass der Islam gefährlich sei. „Und dann passiert es oft, dass mir die anderen zur Hilfe kommen und ihnen widersprechen. Das, sagt Mahmood, „ist wunderbar. Wenn es das nicht gäbe, würde ich nicht mehr um vier Uhr aufstehen und um halb sechs am Bahnhof stehen, um nach Kamenz, Meißen, Chemnitz, Sebnitz, Pirna oder Zittau zu fahren.“

Mitarbeit: Martin Gehlen

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