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Stau auf der A8 bei Rosenheim.

© Angelika Warmuth/dpa

Driving Home for Christmas: Sind wir denn eine Republik der Weihnachtsidioten?

An Weihnachten folgen wir urmenschlichen Sehnsüchten. Weil wir unsere Vertrauten nicht alleine lassen, sondern ihnen eine Freude bereiten wollen. Ein Kommentar.

Glauben wir den Schlagzeilen des Boulevards, oder auch so mancher Klage im Freundeskreis, erleben wir gerade eine Zeit der Massenhysterie. Vor unseren Haustüren tobt der „Paketwahnsinn“, in Zügen das „Bahnchaos“, auf den Autobahnen der „Stauirrsinn“. Schuld sind die Bürger, also eigentlich wir alle, die mal wieder niederen Instinkten folgen.

Weil wir unseren „Konsumwahn“ austoben, statt stille Einkehr zu praktizieren. Weil wir partout in diesen Tagen zu Freunden und Familie fahren – oder mit Freunden und der Familie in die gemeinsamen Ferien – und uns damit am Klima, der Alpennatur oder dem Bedürfnis nach Ruhe versündigen.

Weil wir uns in Kirchen drängen, die an den übrigen Wochenenden viel leerer bleiben – und damit unsere Verlogenheit demonstrieren. Weihnachten, ein Fest der Doppelmoralisten, der Zyniker, der Apokalypse?

Deutschland ist in diesen Tagen etwas anderes als eine Republik der Weihnachtsidioten. Was wäre denn eigentlich die Alternative: Zu Hause bleiben? Nichts verschenken? Von allem etwas weniger, so wie früher, als angeblich alles besser war? Die Festtage sind noch immer eine besondere Zeit, sie berühren fast jeden.

Weil wir urmenschlichen Sehnsüchten folgen, die ausnahmsweise einmal einen überwiegend positiven Hintergrund haben. Weil wir unsere Vertrauten nicht alleine lassen – und auch nicht allein bleiben wollen. Weil wir ihnen mit kleinen und großen Überraschungen eine Freude bereiten wollen. Und uns dafür der modernen Formen des Einkaufens bedienen.

Weihnachten ist eine Zeit der Begegnung

Weihnachten ist eine Zeit des Reisens, der Begegnung, der Geschenke. Das war es übrigens schon immer. Die ganze Weihnachtsgeschichte ist auch eine Parabel der Heimkehr, des Umgangs mit Reisenden, mit Fremden. Die ganze Provinz Judäa hatte sich damals aufgemacht, um dem Volkszählungs-Gebot des römischen Kaisers Folge zu leisten und sich an ihren Heimatorten schätzen zu lassen.

Das Ergebnis war ein antikes Reisechaos. Die Städte waren verstopft, Herbergen überfüllt, Familien stöhnten über die vielen heimgekehrten Verwandten, und der Staat hatte kein Stück vorgesorgt. Auch Maria und Joseph hatten damit zu kämpfen, mit den bekannten biblischen Folgen.

Genauso die Menschen, die wenige Tage später gen Bethlehem strebten, angezogen von einem astronomischen Phänomen über dem Kuhstall. Und die lange Karawane der drei Könige, beladen mit Paketen und Geschenken. Auch sie zwängte sich über antike Wege, um für etwas Größeres zusammenzukommen.

Natürlich sind die Auswirkungen des Weihnachtsbetriebs bei einer an Zahl und Wohlstand rasant gewachsenen Menschheit sichtbarer und nicht mit denen der Antike zu vergleichen. Natürlich sind die Festtage auch Tage des Konsums geworden – und tragen damit im übrigen nicht wenig zu Einkommen und Wohlstand anderer bei.

Aber die Bedürfnisse sind seit Jahrhunderten dieselben. Sie sind urmenschlich – und sie tun Bürgern und Gesellschaft gut. Es ist eine Zeit der Einkehr, eine Zeit für Familie und Freunde, eine Zeit der Gespräche und der Fürsorge. Es ist eine Zeit, in der Konflikte ruhen und auch die Arbeit, zumindest für die meisten Menschen.

Ja, Weihnachten beinhaltet ein Stück Unvernunft, ein gehöriges Stück Irrationalität – wie sollte es auch anders sein bei einem religiös inspirierten Fest. Aber es ist Unvernunft für einen guten Zweck. Und diesmal heiligt der Zweck die Mittel.

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