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Drogenkampf: Wieso die Situation in Mexiko eskaliert

Obwohl der mexikanischen Regierung immer wieder spektakuläre Festnahmen gelingen, wirkt sie im Kampf gegen die Drogenmafia häufig hilflos. Warum ist die Situation in den vergangenen Jahren so eskaliert?

Mexiko wird seit den 80er Jahren zunehmend von der Drogenmafia unterwandert. Unterschiedliche Kartelle kämpfen in wechselnden Allianzen gegeneinander und gegen den Staat, dessen Repräsentanten häufig selbst für eins der Kartelle arbeiten. Der Konflikt eskalierte im Jahr 2006, als der konservative Präsident Felipe Calderon die Armee in den Kampf schickte. Er begründete den Schritt damit, dass die Mafia den Staat bedrohe. Hauptgrund dürfte aber gewesen sein, dass die mexikanische Polizei auf allen Ebenen korrupt ist. Seitdem herrscht in Mexiko ein Krieg ohne Fronten: In den vergangenen vier Jahren sind rund 28 000 Menschen gewaltsam ums Leben gekommen, also etwa 19 pro Tag. Obwohl die Mörder immer brutaler vorgehen – Autobomben zünden, Foltervideos ins Internet stellen, abgeschnittene Köpfe auf öffentliche Plätze legen – wird mittlerweile selbst in Mexiko darüber mit einer gewissen Routine berichtet.

Das ändert sich immer dann, wenn besonders spektakuläre Verbrechen geschehen – so wie vergangene Woche im nordöstlichen Bundesstaat Tamaulipas an der Grenze zu den USA. Auf einer Ranch fand man die Leichen von 58 Männern und 14 Frauen. Es handelte sich um Emigranten aus Zentral- und Südamerika auf dem Weg in die USA. Der einzige Überlebende der Gruppe, ein Ecuadorianer, berichtete, sie seien von Mitgliedern der Zetas gefangen genommen worden. Zu den „Geschäftsfeldern“ dieses relativ jungen und äußerst brutalen Kartells gehört die Entführung von Migranten, für die man Lösegeld verlangt oder die man zur Zusammenarbeit zwingt. Offenbar weigerten sich die Eingewanderten und wurden daraufhin ermordet. Ihr Schicksal zeigt, wie schutzlos Migranten in Mexiko leben – im ersten Halbjahr 2010 wurden offiziellen Daten zufolge rund 10 000 Wanderarbeiter entführt. Und es beweist, wie hemmungslos der Drogenkrieg mittlerweile geführt wird.

Welche Kartelle gibt es?

Sieben Drogenkartelle und ihre Unterorganisationen operieren heute in Mexiko. Ihr Einfluss reicht bis nach Zentralamerika, in die USA und sogar nach Europa. Zuletzt haben sich zwei große Allianzen herausgebildet, die um Territorien und Schmuggelrouten kämpfen. Auf der einen Seite stehen das Juarez-Kartell, das Tijuana-Kartell, das Beltran-Leyva-Kartell und die Zetas; auf der anderen Seite das Golf-Kartell, das Sinaloa-Kartell und die Familia-Michoacana. Die Allianzen sind allerdings äußerst fragil. So arbeiteten etwa die Zetas, die aus einer Eliteeinheit der Armee hervorgegangen sind, zunächst als Killerkommando für das Golf- Kartell. Dann machten sie sich selbstständig und zogen in einen Krieg gegen das Golf-Kartell, der zur Entvölkerung ganzer Ortschaften im Bundesstaat Tamaulipas geführt hat. Weitere Schwerpunkte der Auseinandersetzung sind die Bundesstaaten Chihuahua, Nuevo Leon und Baja California an der US-Grenze sowie Sinaloa, Michoacan und Guerrero an der Pazifikküste. Allerdings sind mittlerweile alle 31 mexikanischen Bundesstaaten vom Drogenkrieg betroffen.

Wie sind die Kartelle organisiert?

Meist werden die Kartelle von einem Boss geführt, dessen Familienangehörige wichtige Stellvertreterfunktionen ausüben. Darunter sind die Kartelle oftmals in Zellen aufgebaut und gehen arbeitsteilig vor. So gibt es Killer, Waffeneinkäufer, Abhörexperten und Leichenbeseitiger. Auf den Gehaltslisten der Kartelle stehen neben Staatsanwälten, Polizisten und Politikern auch Taxifahrer, Straßenverkäufer oder Prostituierte, die als Informanten tätig sind. Wer sich weigert, mit einem Kartell zusammenzuarbeiten, wird mit dem Tod bedroht. Es gilt das Gesetz von „plata o plomo“: Nimm unser Geld oder unser Blei.

Was macht die Kartelle so mächtig?

Die Kartelle ähneln Unternehmen. Sie schmuggeln Waffen und Menschen, morden im Auftrag, erpressen Lösegelder und zapfen Ölpipelines an. In erster Linie aber schmuggeln sie Heroin, Marihuana, Kokain und Amphetamine in die USA. Das US-Außenministerium geht davon aus, dass die Kartelle mit dem Drogenhandel zwischen 15 und 30 Milliarden US-Dollar pro Jahr verdienen. Er ist somit nach der Ölproduktion zur wichtigsten Einnahmequelle Mexikos geworden. Das Magazin „Forbes“ listete 2009 den Boss des Sinaloa-Kartells, Joaquin „Chapo“ Guzman, sogar auf Platz 701 der reichsten Menschen der Welt. Die immensen Profite haben dazu geführt, dass heute in Mexiko mehr Rauschmittel produziert werden als je zuvor. Ende 2008 betrug die Anbaufläche für Opium knapp 7000 Hektar, ein Jahr später waren es rund 15 000 Hektar. Die Cannabis-Produktionsfläche wuchs von 8900 auf 12 000 Hektar. Kokain wird zwar nicht in Mexiko hergestellt, aber 90 Prozent des Stoffs, der in die USA gelangt, werden durch Mexiko und von mexikanischen Kartellen transportiert.

Die Kartelle verfügen aber nicht nur über unermessliche finanzielle Mittel, sondern auch über modernste Waffen aus den USA. So fand man auf der Ranch in Tamaulipas 21 Sturmgewehre, Schrotflinten und andere Feuerwaffen, tausende Schuss Munition, schusssichere Westen und vier Pick-ups, die wie Militärfahrzeuge lackiert waren. Was ihre Ausrüstung angeht, können die Kartelle es mit der Armee aufnehmen.

Warum gelingt es dem Staat nicht, die Drogenkartelle zu besiegen?

Obwohl die mexikanischen Sicherheitskräfte bereits mehrere Drogenbosse getötet beziehungsweise wie jetzt am Montagabend festgenommen haben sowie große Mengen von Drogen und Waffen sichergestellt haben, ist kein Rückgang der Kriminalität festzustellen. Stattdessen lassen die Kartelle den Konflikt stetig eskalieren. Solange es in den USA eine Nachfrage nach Drogen gibt, wird sie aus Mexiko bedient. Die dabei ins Land strömenden Drogengelder haben die mexikanische Gesellschaft und den Staat regelrecht verseucht.

Der Terror der Kartelle lähmt die Zivilgesellschaft. In den vergangenen fünf Jahren wurden 56 Journalisten ermordet, in diesem Jahr waren es bereits zwölf. Zudem sind acht Berichterstatter spurlos verschwunden. In einigen Regionen erhalten die Medien direkte Anweisungen von den Kartellen, über was sie berichten dürfen. Büros der größten mexikanischen Fernsehstation Televisa wurden bereits mit Granaten angegriffen.

Die mexikanische Armee wiederum, einst Hoffnungsträger, spielt eine zweifelhafte Rolle. Ihr werden unzählige Menschenrechtsverletzungen und Parteinahme vorgeworfen. Das hat dazu geführt, dass die Mexikaner niemandem mehr trauen. Zu Recht: In Ciudad Juarez, derzeit mit zehn Morden am Tag die mörderischste Stadt des Landes, klären die Sicherheitskräfte einen von 160 Morden auf. Nichtsdestotrotz bekräftigte Präsident Felipe Calderon vor wenigen Tagen, er werde den Drogenkrieg bis zu seinem letzten Amtstag weiterführen. Und überraschte gleichzeitig mit dem Vorschlag, Drogen zu legalisieren. Für Experten ist das der letzte Ausweg.

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