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Wenn Twitter den türkischen Gesetzen nicht entspricht, könnte die Plattform Datenraten in dem Land verlieren und dort praktisch nicht mehr existieren.

© REUTERS/Dado Ruvic

Druck auf Twitter und Co.: Wie Erdogan den Diskurs im Netz kontrollieren will

Ein neues Gesetz erleichtert den staatlichen Behörden, an Nutzerdaten zu gelangen. Kritiker fürchten dadurch weitere Einschränkungen der Meinungsfreiheit.

Die Türkei bestraft soziale Medien, die sich nicht der Regierung unterwerfen wollen. Twitter und Pinterest können in dem Land ab sofort keine Werbung mehr annehmen, also auch kein Geld mehr verdienen. Demnächst droht ihnen eine drastische Reduzierung der Datenrate – Twitter wäre dort dann praktisch nicht mehr zu erreichen.

Mit den Strafen sollen internationale soziale Medien gezwungen werden, eine Türkei-Vertretung zu eröffnen, die den landeseigenen Gesetzen gehorchen muss: Türkische Behörden kommen dann leichter an Nutzerdaten. Facebook, Youtube, Tiktok und andere Firmen beugen sich den Vorschriften aus Ankara bereits.

Gleichzeitig stärkt Erdogans Regierung hausgemachte Netzwerke, die sie besser kontrollieren kann als die US-Giganten.

Grundlage der Strafen ist ein Gesetz aus dem vergangenen Jahr. Die Regierung sagt, die Neuregelung solle Beleidigungen und persönliche Angriffe durch die sozialen Medien unterbinden. Die Opposition und Experten halten dagegen, die sozialen Medien würden durch das Gesetz geknebelt.

Niederlassung in der Türkei und leichtere Herausgabe von Nutzerdaten

Nach der Neuregelung müssen alle Plattformen mit mehr als einer Million Nutzern – also Twitter und andere große Anbieter – eine Niederlassung in der Türkei eröffnen. Beschwerden gegen kritische Kommentare oder Artikel müssen innerhalb von 48 Stunden bearbeitet werden; zudem müssen die sozialen Medien alle Nutzerdaten in der Türkei speichern – was es für die Behörden nach Ansicht von Kritikern einfacher macht, an diese Informationen heranzukommen.

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, ist bekannt dafür, Regimekritiker hart zu verfolgen.
Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, ist bekannt dafür, Regimekritiker hart zu verfolgen.

© -/Turkish Presidency/AP/dpa

Wenn ein Gericht oder eine Institution verlangt, ein bestimmtes Nutzerkonto zu blockieren, muss das betroffene Unternehmen dem nachkommen oder hohe Strafen zahlen. Das bedeute, dass die Regierung in Ankara die Twitter-Konten von Kritikerinnen und Kritikern im In- und Ausland sperren lassen könne, sagen Experten.

Schon jetzt ist die Meinungsfreiheit im Internet in der Türkei stark eingeschränkt. Laut einer Zählung der Organisation Iföd, die sich für Meinungs- und Informationsfreiheit einsetzt, sind in der Türkei bereits mehr als 450.000 Internetseiten, 42.000 Twitter-Kommentare und 11.000 Youtube-Videos gesperrt.

Erdogan spricht von „digitaler Diktatur“ der Konzerne

Dass die großen Anbieter wie Facebook und Youtube die Bedingungen vor Ort erfüllen, wird von der Regierung als Erfolg gefeiert. Die Entscheidungen zeigten, wie richtig es gewesen sei, mit dem neuen Gesetz „die Persönlichkeitsrechte und die Meinungsfreiheit unserer Bürger“ zu schützen, erklärte Fahrettin Altun, der Kommunikationsdirektor von Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Der regierungstreue Fernsehsender Ahaber schwärmte, das neue Gesetz sei eine „Revolution“. Erdogan selbst sagte vor wenigen Tagen, der Staat müsse sich gegen die „digitale Diktatur“ der Internetkonzerne wehren. Die sozialen Medien müssten gegen Nutzer vorgehen, die „Terror und Gewalt verherrlichen“.

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Aus Sicht der türkischen Justiz beginnt die Terrorverherrlichung oft bereits bei regierungskritischen Kommentaren, die nach westlichen Normen von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Wenn Twitter weiter die Eröffnung eines Türkei-Büros ablehnt, wird die Datenrate des Netzwerks für Nutzerinnen und Nutzer in dem Land ab April um 50 Prozent gedrosselt und ab Mai um 90 Prozent.

Dann wäre Twitter für viele Bürgerinnen und Bürger praktisch unbenutzbar, sagte der Istanbuler Rechtsprofessor Yaman Akdeniz, ein Experte für die Internet-Gesetzgebung, der Zeitung „Cumhuriyet“. Zwar kann ein Virtuelles Privates Netzwerk (VPN) helfen, die De-facto-Sperre zu umgehen. Doch Yaman wies darauf hin, dass VPNs in der Türkei nicht weit verbreitet seien und dass die Regierung versuche, auch VPNs zu sperren.

Türkei will Online-Diskurs komplett kontrollieren

Erdogans Regierung kontrolliert zwar die meisten traditionellen Medien wie Zeitungen und Fernsehsender, kann wegen der sozialen Medien aber trotzdem den öffentlichen Diskurs nicht lenken. Das soll sich mit dem neuen Gesetz ändern. Noch sind Erdogan.

Altun und viele andere Regierungsvertreter auf Twitter zu finden. Doch die Regierung verlegt ihre Kommunikation zunehmend auf Kanäle, die sie besser kontrollieren kann. So schloss Altuns Kommunikationsamt seine Whatsapp-Gruppe für ausländische Korrespondenten. Die Reporter sollen auf das im Land entwickelte Netzwerk Bip umsteigen.

Nun richten sich die Blicke auf Twitter, das in der Türkei mehr als 13 Millionen Nutzerinnen und Nutzer hat. Bisher lehnte das Unternehmen die meisten Forderungen von Erdogans Regierung ab, kritische Kommentare zu löschen, doch unter dem neuen Gesetz wäre Twitter verpflichtet, den Wünschen zu entsprechen.

Twitter und andere Firmen sollten sich sehr genau überlegen, ob sie Erdogans Spiel mitspielen wollen, sagt Internetexperte Yaman: Plattformen, die dem neuen Gesetz folgen, liefen Gefahr, sich für die Verletzung der Meinungsfreiheit instrumentalisieren zu lassen.

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