zum Hauptinhalt
Dominique Strauss-Kahn.

© AFP

DSK und die Justiz: Strauss-Kahn: Der gefledderte Phoenix

Noch immer geht es um einen Kriminalfall, doch Dominique Strauss-Kahn lächelt wieder. Was ist von der jähen Wende in seinem Fall zu halten?

Nun stinkt der Fisch von beiden Seiten, vom Kopf bis zur Schwanzflosse. Und mit der erschütterten Glaubwürdigkeit des angeblichen Vergewaltigungsopfers in der Affäre Dominique Strauss-Kahn (DSK) haben sich die dramatisch aufgeladenen Muster in ihr Gegenteil verkehrt.

Die Heilige in Gestalt des armen missbrauchten schwarzen Zimmermädchens, eben noch eine geheimnisvolle Ikone der US-Öffentlichkeit, wird laut „New York Post“ plötzlich zur Hure („Maid is a Hooker“). Sonst verlaufen solche Karrieren, von der biblischen Maria Magdalena bis zur „Pretty Woman“ im Hollywoodkino, meist andersrum. Auch der jähe Sturz des Mächtigen in den (eigenen?) Abgrund wirkt auf einmal wieder abgefedert und neu gefiedert. Nachdem das New Yorker Bezirksgericht auf Antrag der bisher so unerbittlichen Staatsanwaltschaft den einstigen IWF-Chef von seinen elektronischen Fußfesseln und ein paar anderen Beschwernissen befreit hat, wird DSK in Frankreich bereits mit dem Vogel Phoenix verglichen. Aufgeflogen aus dem politischen und moralischen Aschegrab.

Allerdings muss man hier, bei aller Exaltation über die „sensationelle Wende“ (so die Weltpresse), noch mitbedenken: Der Fall Strauss-Kahn ist bis zum nächsten Gerichtstermin am 18. Juli, bei dem wohl über Anklage oder Einstellung des Verfahrens entschieden wird, weiterhin ein Kriminalfall. Der überaus smarte Anwalt von Nafissatou D., dem mittlerweile öffentlich benannten Zimmermädchen aus dem „Sofitel“ in Manhattan, ist mit seinem Hinweis, dass auch eine Frau, die in psychischer Bedrängnis die Unwahrheit gesagt hat, das Opfer einer Vergewaltigung sein kann, gewiss noch nicht widerlegt. Ähnliche Erwägungen spielten jüngst auch beim Kachelmann-Prozess eine wesentliche Rolle.

Beispielsweise wird der 32-jährigen Nafissatou, die aus einem Bergdorf in Guinea stammt, jetzt vorgehalten, sie habe vor Jahren womöglich falsche Angaben bei den amerikanischen Einwanderungsbehörden gemacht. Dass aber Migranten ihr Schicksal, dem sie in ein mehr Sicherheit und Wohlstand verheißendes Land zu entkommen suchen, oft besonders mitleidserweckend ausmalen, ist so alt wie die Geschichte moderner Fluchten und ihrer amtlichen Beglaubigung. Selbst Albert Einstein, der berühmteste Asylbewerber und US-Neubürger des 20. Jahrhunderts, konnte ein Lied davon singen. Auch die Tatsache, dass Nafissatou D. in einem abgehörten Telefonat einen Tag nach jenem 14. Mai und dem berüchtigten Vorfall in der „Sofitel“-Suite 2008 mit einem inhaftierten Bekannten über die Möglichkeiten gesprochen haben soll, aus der Affäre (nachträglich) Geld zu machen, spricht noch nicht gegen den Vorwurf einer Vergewaltigung. Es klingt selbst das, wenn man die sozialen Milieus von Strauss-Kahn und dem afroamerikanischen Zimmermädchen vergleicht, zwar nicht heilig. Aber menschlich.

Das Milieu der jungen Einwanderin war offenbar die Bronx und der noch nicht gentrifizierte Teil von Harlem. Dass es dort, was Drogen und Geldgeschäfte betrifft, weniger elegant zugeht als in der Sphäre von DSK (in der Drogen und Geldgeschäfte gleichfalls nicht unbekannt sind), kann auch nicht überraschen. Vor diesem realistischen Hintergrund aber wirkte die Stilisierung des angeblichen Opfers als fromme, zurückgezogen lebende Analphabetin, Muslimin und alleinerziehende Mutter zunehmend heuchlerisch, hysterisch oder von der Staatsanwaltschaft und Teilen der US-Medienöffentlichkeit instrumentalisiert. Auch der deutsche „Stern“ hat in seinem aktuellen Heft noch an dieser Legende gestrickt, zugleich aber leicht verpixelt das Foto einer schönen, mit Gold geschmückten „1,80 Meter großen, schlanken Frau“ veröffentlicht – mit der freilich sonderbar anzüglichen Überschrift „Mädchen für alles“.

Lesen Sie weiter auf Seite 2

Die wirklichen Aussagen von Strauss-Kahn und von D. zum vorgeblichen Tathergang am 14. Mai sind bis heute nicht öffentlich bekannt. Leumund und Legende der einzigen (analphabetischen?) Zeugin der Anklage werden nun weniger durch ihr nicht so weißgewaschenes Milieu untergraben als durch widersprüchliche Angaben zu ihren Verträgen mit mutmaßlich fünf verschiedenen Telefongesellschaften, mit monatlichen Zahlungen über hunderte Dollars, und durch die Existenz eines mit angeblich 100000 Dollar aus unklaren Quellen gespeisten Bankkontos. Das alles passt nicht zur Legende, so wenig wie der teure Anwalt, den die junge Frau im Schutzprogramm der Anklagebehörde nicht unbedingt bräuchte.

Nach all dem Unglaublichen oder Unglaubwürdigen wollen vor allem die politischen und persönlichen Freunde Strauss-Kahns nun verstärkt allerlei Verschwörungstheorien befördern. Als die Nachricht von Strauss-Kahns Festnahme im Flugzeug, das ihn nach Paris bringen sollte – kurz vor dem nächsten Termin bei der Bundeskanzlerin in Berlin –, um die Welt ging, hat man natürlich sofort an eine mögliche Falle oder an ein für den eben noch so mächtigen Mann verhängnisvolles Missverständnis gedacht.

Ein Lockvogel? Eine versuchte Erpressung? Die Verwechslung eines von DSK bestellten Call-Girls mit dem Zimmermädchen? Man kann das noch weiter fortspinnen. Doch alle entsprechenden Hypothesen kranken am Timing. Es geschah, was immer geschehen ist, am hellichten Mittag. High Noon. Zur klassischen Auscheck-Zeit in allen Großstadthotels, zudem war DSK etwa eine Dreiviertelstunde später mit seiner Tochter zum Mittagessen verabredet, das Flugzeug danach war gebucht, und wer hätte wissen können, dass DSK gerade aus der Dusche kommt... Nach allem, was inzwischen über Strauss-Kahn und seine sexuellen Usancen bekannt geworden ist, hätte etwa eine Falle, in die der Präsidentschaftsaspirant der französischen Sozialisten geraten sollte, zu jeder anderen Zeit weit leichter zuschnappen können.

Jetzt wird in amerikanischen und deutschen (Boulevard-)Medien die Möglichkeit erörtert, dass das schöne Zimmermädchen bei dem plötzlichen Zusammentreffen mit dem nackt aus der Dusche tretenden Hotelgast die Gelegenheit zu einem kurzen Nebenerwerbsjob gewittert habe. Und DSK habe sich nach dem (Oral-)Verkehr, von dem es nachweisliche Spuren auf der Kleidung der Frau gibt, geweigert zu zahlen. Erst darüber sei es zu einem Handgemenge mit körperlichen Verletzungen gekommen. Es wäre dies zumindest eine logische Erklärung. Doch wer das automatisch für wahrscheinlicher hält als eine triebhaft gewalttätige Explosion bei einem Zweiundsechzigjährigen, der sich sonst alle und alles kaufen kann oder zu können glaubt, der geht selber wieder in die Falle der Küchenpsychologie. Mit allen eigenen Vorurteilen.

Gerade der kulturell gebildete Interpret mag zu der ersten, Strauss-Kahn vom kriminellen Vorwurf der sexuellen Gewaltsamkeit entlastenden Annahme neigen. Die leicht makabre Pointe ist freilich, dass die gesamte Kulturgeschichte nicht nur immer wieder von Sex, Verbrechen und Vergewaltigungen handelt – angefangen von den erotischen Begierden des Göttervaters Zeus. Und immer wieder gibt es das Motiv, dass ein Reicher und Mächtiger in einem rational nicht mehr erklärlichen Akt jählings selber sein Glück zerstört. Shakespeare erzählt davon allemal, im „Wintermärchen“ oder am berühmtesten im „König Lear“.

In Frankreich wurde auch hierüber im Fall von DSK spekuliert. Psychoanalytiker erinnerten an die Variante des Freud’schen Todestriebs, jene dunkle innere Destruktionskraft, die einen so Erfolgreichen im Allmachtswahn mit der Lust überfällt, nicht nur jemanden anderen zu besitzen oder zu demütigen, sondern zugleich mit der Grenzüberschreitung die eigene gewohnte Existenz aufs Spiel zu setzen. Wie ein rauschhafter Selbstmörder.

Solche Dramatik, tragisch oder grotesk, schien dem New Yorker Geschehen zumindest in den ersten Bildern mit innezuwohnen. Denn da war ja nicht allein die nach europäischen Rechtsvorstellungen kaum zu ertragende Demütigung des vor laufenden Kameras in Handschellen vorgeführten IWF-Chefs und potenziellen französischen Präsidentschaftskandidaten. Es waren zugleich Bilder von einem Mann, in dessen todernsten, todtraurigen Augen tatsächlich ein Leben ausgelöscht schien. Eben noch alles, jetzt auf einen Schlag gar nichts mehr. Ausgespielt für immer. Merkwürdigerweise wirkte Strauss-Kahn in diesen Momenten am 15. Mai, nach seiner ersten Gefängnisnacht, stolzer und viel berührender als nun schon wieder so bullig aufgedunsen in voller Schale, so scheinbar selbstgewiss. Als machten ihm die Paparazzi-Fotos und Nachstellungen, was er wo mit wie viel Trüffeln gegessen hat, gar nichts aus.

Die Tragödie, ob für die junge Frau aus der Bronx oder den gestürzten Machthaber, droht so vollends in die Schmiere abzudriften. Für Amerikas Rechtssystem, das angeblich auch die Reichen nicht schont, ist das kein Triumph. Mit seinem Vermögen und den entsprechenden Anwälten hatte schon der pädophile Michael Jackson sich freigekauft. Für DSK könnte es jetzt weniger teuer kommen.

Doch billigen wird man, wenn die aktuellen Emotionen verflogen sind, sein Verhalten gegenüber Frauen – auch mit allen Peinlichkeiten dessen, was seine Anwälte als „einvernehmlichen Sex“ beschreiben – kaum noch. So ist auch in Frankreich ein Präsident DSK nicht mehr vorstellbar.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false