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Politik: „Du wirst den Heldentod sterben müssen“

Die türkische Polizei hörte die Telefonate vor den Anschlägen in Istanbul ab – und kam so Hintermännern auf die Spur

„Alles klar, du kannst vorfahren“, sprach Yusuf Polat am Morgen des 15. November leise in sein Handy. Und: „Gesegnet sei deine Tat.“ Dann sprang er in den nächsten Bus und fuhr davon, während sein Freund Mesut Cabuk den ersten Gang seines Lieferwagens einlegte und zum Hintereingang der Beth-Israel-Synagoge im Istanbuler Stadtteil Sisli fuhr. Acht Minuten nach dem Gespräch mit Polat jagte Cabuk sich mit mehreren hundert Kilo Sprengstoff in die Luft und riss Dutzende unschuldige Menschen mit in den Tod.

Sein letztes Telefonat brachte die Ermittler auf die Spur des Mitverschwörers Polat. Die Polizei hat ihn geschnappt, als er nach Iran ausreisen wollte. Später brachte sie ihn zum Ortstermin nach Sisli. Dort sollte er zu der Tat aussagen. Trotz offizieller Nachrichtensperre sickern immer mehr Ermittlungsergebnisse zu den vier Terroranschlägen von Istanbul durch. Sie wurden demnach von einer türkischen Zelle des internationalen Terrornetzwerkes von Al Qaida verübt.

Seit vier Monaten liefen die Vorbereitungen für die Anschläge auf zwei Synagogen, das britische Konsulat und eine britische Bank in Istanbul. Yusuf Polat war offenbar ein Verschwörer mittleren Ranges, der in der Befehlskette zwischen den Anführern und den Attentätern stand. Seine Aufgabe war es, den Tatort an der Beth-Israel-Synagoge auszuspähen; in seiner Wohnung wurden Fotos der Synagoge und Skizzen der Umgebung gefunden. Mit einer Fernzündung sei der Anschlag wegen der Parkverbote dort nicht zu verwirklichen, informierte er den späteren Attentäter Mesut Cabuk: „Du wirst vor der Synagoge den Heldentod sterben müssen.“ Im sprichwörtlich letzten Moment musste Polat diesen Plan am Tag der Tat noch einmal abändern. Weil die Straße vor der Synagoge durch Ladearbeiten an einem Lkw blockiert war, dirigierte er seinen Kameraden zum hinteren Eingang der Synagoge.

Von den anderen Anschlägen wusste Polat offenbar nicht viel mehr, als dass sie geplant waren – aber nicht wann, wie und wo. Diese Informationen liefen wohl nur bei den Anführern der Terror-Zelle zusammen, von denen die beiden wichtigsten Verdächtigen noch vermisst werden: Azad Ekinci und Habib Aktas, denen offenbar die Flucht ins Ausland gelang. Dafür sind nach der letzten gerichtsmedizinischen Untersuchung am Sonntag inzwischen die Namen aller vier Selbstmordattentäter bekannt. Gesucht werden nach rund 60 Festnahmen und 21 Haftbefehlen noch vier oder fünf Zellenmitglieder, die vermutlich mit falschen Papieren ins Ausland fliehen konnten. Yusuf Polat hatte bei seiner Festnahme gleich drei gefälschte Pässe dabei. Klarheit gewinnen die Ermittler auch langsam über die politischen und ideologischen Hintergründe der Verschwörer, die fast alle in Afghanistan gekämpft hatten. Einige hatten zuvor mit einheimischen türkischen Fundamentalistengruppen zusammengearbeitet. In Afghanistan radikalisierten sie sich weiter und übernahmen die salafidische Ideologie, die eine äußerst radikale Auslegung des Islam propagiert und insbesondere den Sufismus ablehnt, der den Volksislam in der Türkei prägt.

Die türkische Extremistengruppe „Front der Vorkämpfer für einen Großen Islamischen Osten“ (IBDA-C) hatte sich im eigenen und im Namen von Al Qaida zu den Anschlägen bekannt. Die IBDA-C ist nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) auch in Deutschland präsent, stellt hier zu Lande jedoch keine größere Gefahr dar. „Das BKA geht davon aus, dass IBDA-C in Deutschland über kein hinreichend großes Gefährdungspotenzial verfügt“, sagte eine BKA-Sprecherin. Die Anhängerschaft in Deutschland werde als schwach eingeschätzt.

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