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US-Präsident Donald Trump

© Joe Raedle/Getty Images/AFP

Dubiose Ukraine- und China-Kontakte im US-Wahlkampf: Trumps pervertierte Demokratie

Täglich öffnen sich neue Abgründe von Rechtsbruch im Weißen Haus. Doch das Impeachment entscheidet nicht über Trumps Zukunft. Das tun die Wähler. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Wer hätte das vor ein paar Jahren für möglich gehalten? Ein US-Präsident wird bei einem offenkundigen Rechtsbruch erwischt. Aber er gibt sich nicht etwa zerknirscht und versucht sich zu verteidigen. Nein, er geht in die Offensive und begeht den gleichen Rechtsbruch noch einmal, vor laufenden Kameras und bei offenen Mikrofonen.

Der Präsident als Anstifter zum Rechtsbruch

Das amerikanische Wahlkampfrecht ist eindeutig. Es verbietet einem Kandidaten, ausländische Hilfe im Wahlkampf anzunehmen, ganz egal welcher Art: Geldspenden, Sachmittel, politische Munition gegen innenpolitische Gegner. Die Vorwürfe gegen Donald Trump sind noch gravierender, und sie lassen sich inzwischen belegen. Ihm wird nicht vorgehalten, passiv Hilfe angenommen zu haben. Sondern, viel schlimmer: Er soll sie aktiv eingefordert haben - unter Einsatz von Druckmitteln, die ihm qua Amt zur Verfügung stehen. Der Präsident, der einen Amtseid geschworen hat, die Verfassung und die Rechtsordnung der USA zu schützen, als Auftraggeber von Rechtsbruch.

Trump hielt Finanzhilfe für die Ukraine zurück, um zu erreichen, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj Untersuchungsverfahren gegen Joe Biden, den mutmaßlichen demokratischen Herausforderer in der US-Präsidentschaftswahl 2020, wegen angeblicher Verwicklungen in ukrainische Korruptionsaffären einleitet. Sowie gegen dessen Sohn Hunter Biden, der so instinktlos war, einen gut bezahlten Posten bei einem für Korruption bekannten ukrainischen Energiekonzern anzunehmen.

Wahlkampfhilfe als Bedingung für ein Gipfeltreffen

Jetzt kommt auch noch heraus: Trump hat es zur Bedingung für ein Gipfeltreffen mit Selenskyj gemacht, dass der sich verpflichtet, gegen Biden zu ermitteln. Das belegen Unterlagen, die der Sondergesandte für die Ukraine, Kurt Volker, dem Kongress ausgehändigt hat.

Und in dem Moment, da der Kongress die Voruntersuchungen für ein Amtsenthebungsverfahren wegen dieses Rechtsbruch einleitet und sich nahezu täglich weitere Abgründe von Rechtsbruch auftun, orchestriert aus dem Weißen Haus, setzt Trump noch eins drauf. Er fordert China öffentlich auf, ebenfalls Untersuchungen gegen Biden einzuleiten.

Nun könnte man ganz abgeklärt die Gegenfrage stellen: Wen wundert's? Das entspricht doch nur dem gewohnten Muster, wie der "Bully" Trump vorgeht, um Gegner in die Schranken zu weisen und von Gegenmaßnahmen abzuschrecken. Er tritt ihnen gegen das Schienenbein und droht. Und wenn das nicht genügt, tritt er ein zweites Mal gegen das Schienenbein, diesmal heftiger. Und wenn das immer noch nicht hilft, folgt ein dritter Tritt, verbunden mit einer persönlichen Beleidigung.

Trump dreht die Präventionslogik des Strafrechts um

Trump ignoriert die Rechtsordnung. Und meint offenbar, das ungestraft tun zu können. Wie ist das möglich? Recht und Gesetz folgen doch ebenfalls der Präventionslogik. Wer Recht bricht, muss mit Strafe rechnen. Das soll den potenziellen Täter abhalten.

Das Rechtssystem der USA sieht als Mittel gegen einen Recht und Gesetz brechenden Präsidenten die Möglichkeit der Amtsenthebung vor. Für die Einleitung ist die Mehrheit des Repräsentantenhauses nötig. Dort haben die Demokraten die Mehrheit, und angesichts der Enthüllungen werden wohl auch einige Republikaner dafür stimmen. Zur Verurteilung des Präsidenten jedoch ist eine Zweidrittelmehrheit im Senat erforderlich. Und die ist nicht in Sicht. Jedenfalls noch nicht. Das Verfahren wird sich zudem lange hinziehen - bis über den nächsten Wahltermin hinaus. Der ist in dreizehn Monaten, am 3. November 2020.

Trump setzt offenbar darauf, dass er sich per Wahlsieg ein neues Mandat von den Wählern holen kann, das zugleich die Impeachment-Vorwürfe neutralisiert. Denn wenn der Souverän gesprochen hat - wie sollen es dann die Senatoren wagen, sich Volkes Stimme zu widersetzen?

Der Wähler soll entscheiden, nicht der Rechtsweg

Diese Verlagerung der Entscheidung über einen politischen Rechtsbruch von der Justiz auf den Wahlprozess hat eine nachvollziehbare, aber zugleich eine höchst bedenkliche Seite. Nachvollziehbar ist: Ein Impeachment ist nach amerikanischem Verständnis ohnehin mehr ein politisches als ein juristisches Verfahren. Die Volksvertreter im Repräsentantenhaus und im Senat klagen an, beziehungsweise führen den Prozess und sprechen das Urteil. Zu einer Amtsenthebung auf diesem Weg ist es zwar in den 232 Jahren seit Einführung der US-Verfassung 1787 nie gekommen. Aber politisch hat das Instrument gewirkt: Präsident Richard Nixon trat zurück, um dem Impeachment zuvorzukommen, als ihm klar wurde, dass der Senat ihn wegen seiner Rolle in "Watergate" des Amts entheben würde. Die Voruntersuchung diente der öffentlichen Meinungsbildung. Und führte zum richtigen Ergebnis.

Auch in der Trump-Affäre verschiebt sich durch die Medienberichte über die Voruntersuchung und die Fakten, die sie zu Tage fördert, die öffentliche Meinung. Nach neuen Umfragen wächst die Zahl der US-Bürger, die ein Impeachment unterstützen, und ist inzwischen größer als die Zahl derer, die es ablehnen: 45 zu 38 Prozent in einer Erhebung von "USA Today"; im Juni war es noch umgekehrt: 32 Prozent dafür, 61 Prozent dagegen. Auch andere Umfragen bestätigen das Bild: wachsende Unterstützung für Amtsenthebung, aber bisher unter der absoluten Mehrheit.

Der Volksbauch hält sich an keine Prozessordnung

Wenn nun aber, wie Trump das offenbar anstrebt, die Wähler das Urteil am Wahltag im November 2020 sprechen sollen, ist das bedenklich. Aus dem strukturierten Verfahren im Kongress, das sich an Prozessordnung des Rechtsstaats orientiert, würde ein Referendum - ohne dass die Wähler gezwungen wären, sich zu informieren und den erprobten Regeln für Beweisführung und Beweiswürdigung zu folgen. Der Volksbauch würde befragt - in einer Angelegenheit, die letzten Ende über den Bestand oder das Verschwinden des Rechtsstaats entscheidet.

Trump würde das nutzen, um die öffentliche Meinung mit populistischer Desinformation zu beeinflussen, wie er das schon jetzt tut, ohne auf Wahrheit oder Anstand oder Rechtmäßigkeit zu achten. Als Präsident hat er zudem das lauteste Megafon.

Die Gültigkeit von Gesetzen und ihre Durchsetzung darf sich in einem demokratischen Rechtsstaat aber nicht nach dem "gesunden Volksempfinden" richten. Maßgeblich sind die Vorgaben der Verfassung und der Gesetze. Sonst gibt der Rechtsstaat sich auf.

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