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Politik: Düfte digital gespeichert

Wir können alles, alles aufnehmen. Den Tritt gegen Ballacks Knie in zehn Kameraperspektiven, den ersten Schrei des Stammhalters in Stereo, Tante Gertruds 85.

Wir können alles, alles aufnehmen. Den Tritt gegen Ballacks Knie in zehn Kameraperspektiven, den ersten Schrei des Stammhalters in Stereo, Tante Gertruds 85. Geburtstag im Breitformat 16:9. Geht, ist normal, kann jeder. Doch bei den nicht weniger wichtigen Erinnerungen versagt die Technik bislang völlig. Wie duftete Tante Gertruds Parfüm? Und wie der zage Furz des Stammhalters? Düfte kann man nicht aufnehmen, das ist herrschende Meinung, aber das muss ja nicht so bleiben. Denn es gibt in Tokio ein „Technologisches Studio“, das den Duftrekorder nun endlich in Angriff genommen hat. Und was die Japaner anpacken, das wissen wir, das tapst erst ein paar Monate doof durchs Labor, alle grinsen – und ein Jahr später steht es zum geilen Preis im Regal sämtlicher deutschen Mediamärkte.

Richten wir uns also langsam ein auf die konsequente Beduftung von allen Seiten. Die Sache ist an sich einfach. Vorerst brauchen wir weiter nichts als 15 zum Schnüffeln geeignete Mikrochips, die einen vorgegebenen Geruch zerlegen und digital speichern. Auf der anderen Seite, der Verbraucherseite, brauchen wir 96 Chemikalien, die nach diesem Rezept gemischt und dem Benutzer ins Gesicht gepustet werden. „Hmm, weißer Pfirsich!“ sagt er dann, oder „Erinnert mich irgendwie an unsere Flitterwochen in Paris“. Computerfehler freilich können auch zu weniger erfreulichen Ergebnissen führen, dann heißt es: „Kann mal bitte jemand den Mülleimer runterbringen?“

Das Projekt muss natürlich auch einen Sinn haben, größer und wichtiger als die Belustigung des Medienkonsumenten. Zum Beispiel soll er ja mehr und mehr Online-Geschäfte tätigen – und wer kauft schon Parfüm, ohne dran riechen zu können? Pffft. Und erst die medizinischen Perspektiven! Ein kranker Antarktisforscher könnte, so heißt es, jederzeit einen Arzt in Tokio an sich schnuppern lassen. Pffft! „Riecht wie kranker Antarktisforscher“, könnte der Arzt feststellen und wenigstens ein Stück Seife verschreiben. Aber auch höchst unlautere Einsatzfelder sind denkbar, beispielsweise, dass der Bäcker alten Kirschkuchen losschlagen will und sich online frischen Kirschkuchenduft bestellt. Pffft!

Auch wir beim Tagesspiegel haben uns natürlich für die neue Technik interessiert und einen Prototypen getestet. Bitte befeuchten Sie vorsichtig die rechte untere Ecke dieser ersten Seite. Und? Merken Sie’s? Es riecht nach nasser Zeitung. Ein kleiner Schritt, zugegeben. Aber es fängt ja alles erst an.

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