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Spiegel der Gesellschaft? Viele Bürger in Marxloh sind verunsichert, Händlern brechen die Geschäfte weg, Familienclans reklamieren Straßen für sich.

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Update

Duisburg-Marxloh: Tief im Westen

Duisburg-Marxloh macht Schlagzeilen als "No-go-Area". Heute um 13 Uhr kommt die Kanzlerin zum Bürgerdialog. Ein Besuch im Stadtteil.

Marxloh gilt als Problemviertel Duisburgs, sozialer Brennpunkt und wird seit ein paar Tagen in Deutschland als Beispiel für die "No-go-Area" gehandelt. Einige Bürger trauen sich nicht mehr abends auf die Straße, es gibt Hetzkampagnen in sozialen Netzwerken gegen Zuwanderer, die Polizei hat Angst vor Respektlosigkeit und die Wohlfahrtsverbände sehen den sozialen Frieden gefährdet. Dienstag um 13 Uhr kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Duisburg-Marxloh zum Bürgerdialog. 60 ausgewählte Bürger dürfen rund zwei Stunden lang Fragen stellen.

Polizisten mit kugelsicheren Westen kontrollieren Autofahrer

Samstagabend auf der Weseler Straße. Um 22 Uhr ist auf der Haupteinkaufsmeile in Marxloh noch viel los. Spaziergänger flanieren an den Brautmodengeschäften vorbei, Jugendliche stehen zusammen, Polizisten mit kugelsicheren Westen kontrollieren Autofahrer, leuchten den Fahrern mit LED-Lampen ins Gesicht. Seit ein paar Wochen haben die Stadtteilpolizisten Verstärkung aus ganz Nordrhein-Westfalen bekommen. Eigentlich wegen der libanesischen Clans, die dort das Drogengeschäft bestimmen sollen. Doch im Alltag geht es meist um Führerscheinkontrollen und Ordnungswidrigkeiten.

Mehr als 10.000 Menschen leben hier ohne Krankenversicherung.
Mehr als 10.000 Menschen leben hier ohne Krankenversicherung.

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Eben erst waren libanesische Jugendliche kontrolliert worden, weil sie Fußball auf der Straße spielten. Schnell eskaliert so eine Situation, erzählt ein anderer Libanese, dessen Familie in den 70er Jahren nach Marxloh kam. Wer als Libanese ohne Papiere herumläuft, kommt sofort mit ins Präsidium. "Alle Familienclans werden in einen Topf geschmissen. Hier braucht kein Polizist Angst zu haben", sagt der 24-Jährige. Statt Hundertschaften, die viel Geld kosten, solle man lieber Jugendzentren aufmachen. Und respektvoll mit den Jugendlichen umgehen, statt sie als "Hurensöhne" und "Bastarde" zu beschimpfen.

Der Pater kümmert sich im Viertel um die Jugendlichen

Der Begriff "No-go-Area" sei durch die Medien geprägt, sagt Pater Oliver von St. Peter. Er kümmert sich im Viertel um die Jugendlichen. "Es herrscht eine subjektive Angst", erklärt er. Aber die habe seine Großmutter auch gehabt, die in Mülheim lebte, einer Nachbarstadt von Duisburg. "Das Problem ist, dass sich die Menschen allein gelassen fühlen. Die Türken wie die Roma und die Flüchtlinge wie die Deutschen." Mehr Polizei bringe nichts. "Viele wissen hier nicht wohin, die Cafés sind geschlossen, Bänke werden abgebaut, damit die Jugendlichen abhauen. Aber wo sollen sie denn hin?"

Ein paar Ecken weiter auf der Hagedornstraße. Viele Menschen aus Bulgarien und Rumänien, darunter auch Roma, leben hier in heruntergekommenen Häusern. Abends stehen sie davor. Es ist laut, kleine Kinder spielen auf der Straße, Jugendliche hocken auf Stromkästen. Andere Nachbarn sind genervt. Polizisten fahren vorbei. Steigen nicht aus. Frauen bei der Polizei trauen sich nicht mehr allein nach Marxloh, sagt ein Polizeisprecher. Aus Angst vor Gewalt.

Dieser Bereich von Marxloh prägt das Bild vom schmutzigen Stadtteil

Doch davon sieht man an diesem Abend nichts. Kurz vor Mitternacht sind die Kinder von der Hagedornstraße verschwunden, die Musik ist leise. Nur noch wenige stehen herum. Wie Viorel. Der 41-Jährige stammt aus Galati in Rumänien. Er kam im Februar 2014 nach Duisburg. Viorel hat zehn Kinder, arbeitet mal hier, mal da. Mini-Jobs. Lebt vom Kindergeld. Hier sei es besser als in Galati, erzählt er und berichtet stolz von seinen Kindern, die alle hier zur Schule gingen. Viorel fährt jetzt auch den Müll zum städtischen Entsorgungshof. Das musste er erst lernen, vorher landete der Müll im Hinterhof.

Dieser Bereich von Marxloh prägt das Bild vom schmutzigen Stadtteil. Davon berichtet auch Heike Priebe. Sie gehört zum Verein Runder Tisch Marxloh. Kurz vor dem Merkel-Besuch häufen sich die Klagen: über Tumulte und gewalttätige Auseinandersetzungen, Müll, Bettelei, Ruhestörungen, Diebstähle, Einbrüche, Bandenkriminalität. Der Stadtteil sei in einer Abwärtsspirale. Und die Politik helfe nicht. In sozialen Netzwerken kursieren Hasstiraden. "Da hilft nur ’ne Schrotflinte" und "Für Marxloh braucht man einen Waffenschein".

Fremdenhass keimt auf. Laut Polizeistatistik ist es in der Duisburger Innenstadt gefährlicher als in Marxloh. Pater Oliver von St. Peter versucht den Roma und den anderen hier gestrandeten Flüchtlingen zu helfen. Mehr als 10.000 Menschen leben hier ohne Krankenversicherung. Donnerstags ist kostenlose Sprechstunde. Manchmal kommen mehr als 80 Menschen. "Ein Parallelsystem ist entstanden", sagt der Pater. Davon will er der Kanzlerin erzählen. Denn er ist einer der 60 eingeladenen Bürger.

Schon in den 70-er Jahren gab es hier viele Vorurteile

Sylvia Brennemann ist nicht eingeladen. Sie ist 45, arbeitet als Kinderkrankenschwester und engagiert sich für ihren Stadtteil. Brennemann ist in Marxloh geboren. Sie erzählt, dass der Stadtteil von je her von Zuwanderung geprägt wurde, es gab immer wieder Vorurteile, wie damals in den 70er Jahren, als die türkischen Zuwanderer kamen. Dem Stadtteil hing immer ein gewisses Schmuddelimage an. Verändert hat sich die Dimension von Armut. "Die Zuwanderer aus Südosteuropa haben derzeit kein Recht auf existenzielle staatliche Leistungen, da sie im Rahmen der europäischen Freizügigkeit hierherkommen", sagt Brennemann. Marxloh habe viele Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger. Die Stimmung werde durch die "No-go-Area"-Kampagne deutlich angeheizt. "Das macht nicht wenige Marxloher wütend."

60 Bürger dürfen Merkel am Dienstag Fragen stellen

Im Medienbunker organisiert Halil Özet das Zusammentreffen der 60 Bürger mit der Kanzlerin. Özet ist türkischstämmig, hier geboren. Früher gab es viele deutsche Läden in Marxloh. Sogar die Düsseldorfer kauften hier ein, erzählt er. Damit ist längst Schluss. Jetzt hat sogar die bundesweit bekannte Brautmodenmeile Probleme wegen des Images. Özet will die Kanzlerin Angela Merkel fragen, wie sie helfen kann, das Image von Marxloh zu verbessern. Die betonte am Samstag in ihrem Video-Podcast, dass sie alles tun werde, um in Marxloh Arbeitsplätze zu schaffen und den Kindern eine gute Chance auf Bildung zu geben. Ob das reicht?

Stephanie Hajdamowicz

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