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Auf der Messe "Gamescom" wirbt der Verfassungsschutz um neues Personal.

© dpa

Dunkle Nischen: Warum sich Ermittler mit Tätern wie Stephan Balliet schwertun

Die Winkel des Internets, in denen sich der Attentäter von Halle radikalisierte, sind für Ermittler oft eine fremde Welt. Wie sich das künftig ändern soll.

Experten kennen das Problem schon lange: Je größer eine extremistische Organisation und je mehr sie kommuniziert, desto leichter können die Sicherheitsbehörden Anschlagspläne vereiteln. Je kleiner die Zelle und je weniger Kommunikation stattfindet, desto unwahrscheinlicher wird es, dass Ermittler von den Plänen etwas mitbekommen. Und wenn ein Einzeltäter einen Terrorakt begehen will, dann haben die Sicherheitsbehörden oft nur eine Chance, wenn dieser vorher im Internet Spuren hinterlassen hat.

Stephan Balliet, der Attentäter von Halle, fällt in letztere Kategorie. Der 28-Jährige steht für einen neuen Tätertypus: ein Rechtsterrorist, der zwar allein handelte, sich aber über das Netz international mit Gleichgesinnten ausgetauscht hatte. Im analogen Leben war er ein Einzelgänger, wohnte bei seiner Mutter in seinem alten Kinderzimmer, verbrachte viel Zeit online. Im Netz lebte er in einer Parallelwelt, radikalisierte sich durch kriegs- und waffenverherrlichende Computerspiele und in speziellen Internetforen wie dem sogenannten Imageboard 4chan.

Nebenklage-Vertreter warfen dem BKA Unwissen vor

Die Radikalisierung in der rechtsextremen Szene findet immer häufiger in diesen versteckten Nischen des Internets statt. Große Plattformen wie Twitter oder Facebook werden vor allem zur Rekrutierung genutzt. Aber die Indoktrinierung findet eher auf Plattformen statt, auf denen es kaum Moderation und Kontrolle der Inhalte gibt. Dazu zählen Chatprogramme wie Whatsapp oder Telegram, Imageboards wie 4chan oder auch Computerspieleplattformen, die von den Rechtsextremen benutzt werden.

Und diesen Bereich des Internets hatten Ermittler lange kaum im Blick. Auch die Befragungen der BKA-Ermittler im Prozess zeigten, wie fremd diese sich in der verschachtelten Online-Welt fühlen. Eine befragte BKA-Sachbearbeiterin gab zu, sie sei nie auf der Spieleplattform „Steam“ gewesen, auf der Balliet ein Profil hatte. Ein anderer BKA-Ermittler musste seine Wissenslücken über das Imageboad 4chan einräumen, auf dem Balliet unterwegs war. Nebenklage-Vertreter warfen dem BKA Unwissen vor.

Ein weiteres Problem ist, dass die Rechtsextremisten in den tiefen der Internet-Foren oft eine Sprache sprechen, die nur Insider verstehen – voller Anspielungen, Euphemismen und Referenzen. Ein einfaches Beispiel findet sich in einer aktuellen Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Der SPD-Politiker Martin Schulz hatte einst gesagt: „Was die Flüchtlinge zu uns bringen, ist wertvoller als Gold“. Seitdem ist in rechten und rechtsextremen Kreisen oft von „Goldstücken“ die Rede, wenn Geflüchtete gemeint sind. Die Szene hat ihre ganz eigene Sprache.

Einzeltätern früher auf die Spur kommen

Beim Verfassungsschutz scheint man erkannt zu haben, dass sich solche Anschläge nur verhindern lassen, wenn sich Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden, auch in dieser Welt zurechtfinden. Als Lehre aus rechtsextremen Anschlägen wie in Hanau und Halle setzt der Inlandsgeheimdienst jetzt auf mehr Cyber-Agenten, um radikalisierten Einzeltätern frühzeitiger auf die Spur zu kommen.

„Wir sind mit virtuellen Agenten auf einschlägigen Plattformen unterwegs und beobachten dort, ob Akteure mit extremistischen Äußerungen auffallen“, sagte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang vor einigen Wochen dem Tagesspiegel. Mitarbeiter des Verfassungsschutzes agierten dort mit einer Legende, als seien sie Teil der Szene – in der Erwartung, dass sich Szenemitglieder öffnen und sie dann Erkenntnisse gewinnen. Der Verfassungsschutz mache daher auch gezielt Personalwerbung auf der „Gamescom“ in Köln, der weltweit größten Messe für Computer- und Videospiele. Nach der letzten „Gamescom“ habe der Verfassungsschutz über 200 Bewerbungen bekommen, sagte Haldenwang.

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