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Die scheidende Treuhand-Präsidentin Birgit Breuel entfernt 30.12.1994 das Firmenschild in Berlin.

© Wolfgang Kumm/dpa

Dunkle Seite der Wiedervereinigung: Die Fehler von damals sind eine Chance für heute

Die Linke will die Rolle der Treuhandanstalt aufarbeiten. Das könnte die anderen Parteien zwingen, sich mehr Anerkennung im Osten zu verschaffen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Antje Sirleschtov

Es waren nur einige Dutzend Bergleute, die sich 1993 in der Kantine des thüringischen Salzbergwerks „Thomas Müntzer“ zum Hungerstreik verabredeten, doch ihre Verzweiflung gilt bis heute als Sinnbild für die dunkle Seite der Wiedervereinigung. „Bischofferode ist überall“ skandierten sie damals, und in der Tat gibt es wohl niemanden, der diese Zeit erlebt hat und keine der vielen Geschichten von den Plattmachern, den Glücksrittern und den Selbstbedienern jener Tage zu erzählen weiß.

Massenarbeitslosigkeit, Zukunftsangst und der Niedergang ganzer Regionen: All das hatte eine Namen und trägt ihn bis heute: Treuhandanstalt. Synonym für den eiskalten Kapitalismus, der auf den Freiheits-Freuden-Taumel der Nachwendezeit folgte - und bis heute in den Augen vieler Ostdeutscher der Beleg dafür ist, wie der Westen dem Osten sein System gnadenlos übergestülpt hat. Manches von der Wut und der Schmach ist verblasst, die Betroffenen sind jenseits der 80, und ihre Kinder sind in die Fremde gezogen. Soll die Erinnerung an die Treuhand trotzdem jetzt, fast 30 Jahre danach, noch einmal hervorgekramt werden und alte Wunden aufreißen?

Linke droht ihre Rolle als Sachverwalter zu verlieren

Dass die Linkspartei rasch einen Untersuchungsausschuss im Bundestag ins Leben rufen und dort die Geschichte der Birgit-Breuel-Behörde verhandeln will, versteht man. Schließlich treffen die rechtspopulistischen Warnungen der AfD vor Überfremdung der Heimat auf offene Ohren in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Die Linke muss fürchten, ihre jahrzehntelange Rolle als Sachwalter ostdeutscher Interessen an die AfD zu verlieren. Da passt es gut, alte Ressentiments rechtzeitig wieder auszupacken und das „Wir im Osten“ gegen das „Die im Westen“ neu zu befeuern.

Doch das durchsichtige Motiv sollte nicht als Argument für eine allzu rasche Ablehnung herhalten. Ja, es hat schon zwei U-Ausschüsse gegeben und niemand sollte erwarten, dass eine Neuauflage zu grundstürzlerisch neuen Bewertungen des Wirkens der Treuhand führt.

Die meisten Fakten sind bekannt: Das Ausmaß der ökonomischen Katastrophe des DDR-Erbes war unterschätzt worden, die Treuhand wurde neben ihrer ursprünglichen Aufgabe der Privatisierung der ostdeutschen Industrie mit unverantwortlich vielen sozialen und gesellschaftlichen Aufträgen überfrachtet und so zum Sündenbock für jeden Fehler der Wiedervereinigung. Und am Ende, als die Treuhand geschlossen wurde, waren alle Parteien froh darüber, das unschöne Kapitel beenden zu können. Doch so leicht geht das mit dem Vergessen der Geschichte bekanntlich nicht.

Fakt ist: Die Wirtschaft der DDR war ruiniert, viele Firmen [waren] nicht mal ansatzweise konkurrenzfähig. Der wirtschaftliche Zusammenbruch dieses Staates DDR stand unmittelbar bevor.

schreibt NutzerIn manfred1

Anerkennung im Osten verschaffen

Heute können weit mehr Unterlagen der einstigen Privatisierungsbehörde eingesehen werden als noch vor einigen Jahren. Sich ernsthaft mit den Fehlern von damals auseinanderzusetzen, könnte gerade für Union, SPD, FDP und Grüne eine Chance sein, sich Anerkennung im Osten zu verschaffen und ihre West-Dominanz wenigstens ein bisschen zu korrigieren. Wer die frühen neunziger Jahre noch einmal rekapituliert, wird Antworten auf die Frage finden, warum der Osten so ist, wie er ist: voller Wut und Ablehnung der demokratischen Strukturen des Westens und seiner Repräsentanten.

In diesem Zusammenhang können Politiker gleich auch noch verstehen lernen, warum ihnen die Menschen etwa im Braunkohlerevier der Lausitz nach den Erfahrungen mit der Treuhandanstalt nicht mehr glauben wollen, wenn diese beteuern, man werde die sozialen Folgen des Kohleausstiegs abfedern. Das ist umso wichtiger, wenn jetzt weitere Strukturveränderungen anstehen.

Die frühen neunziger Jahre in Ostdeutschland bieten vor diesem Hintergrund einen nur allzu guten Raum des Verständnisses. Denn sie lehren unter anderem, wie groß die Bedeutung von Arbeitsplätzen für das Selbstbewusstsein von Menschen und den Zusammenhalt von Regionen ist - und welchen Schaden es anrichten kann, wenn Politiker darüber leichtfertig hinweggehen.

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