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E-Government: "Verwaltung ist unzugänglich für Bürger"

Am Donnerstag und Freitag treffen sich in Berlin Internetexperten und Fachleute aus Politik und Verwaltung, um über E-Government zu diskutieren. Ton Zijlstra ist einer von ihnen und spricht mit Tagesspiegel.de über bürgerfreundliche Verwaltung, unwillige Politiker und mangelnden Datenschutz.

E-Government ist ein ziemlich schwammiger Begriff. Was verstehen Sie darunter?

Richtig, E-Government ist ein breites Thema. Ich denke, die leichteste Definition wäre, dass behördliche Dienste auch auf digitalem Weg angeboten werden und dass dadurch die Kontakte zwischen Bürgern und Behörden oder Regierung direkter und intensiver werden können.

Sie sehen den Schwerpunkt eher auf der Verwaltung als auf der politischen Mitbestimmung.

Ja. Die Verwaltung ist in diesem Bereich bislang relativ unzugänglich für Bürger. Gleichzeitig bietet sich hier das größte Potenzial im Austausch zwischen Behörden und Bürgern.

Seit vielen Jahren wird hierzulande über eine gläserne Verwaltung diskutiert, in der Bürger Behördengänge online erledigen oder sich Behörden untereinander besser vernetzen. Gefühlt ist allerdings wenig Zählbares zustande gekommen.

Es passiert schon etwas, aber wohl auf Ebenen, die nicht für jedermann sichtbar sind. Das hat damit zu tun, dass sich die Verwaltungskultur nur sehr langsam verändert: Beamte treten oft gar nicht als persönliche Ansprechpartner in Erscheinung. Das ist aber unvermeidlich, wenn es um den direkten Kontakt zum Bürger geht.

Welche konkreten Vorteile haben Bürger von einem funktionierenden E-Government in der Verwaltung?

Ein praktisches Beispiel: Es reicht, wenn ich meine Daten ein einziges Mal bei einer Behörde hinterlege. Ist die Verwaltung ausreichend vernetzt, brauche ich nicht bei jedem Behördengang neue Formulare und Anträge auszufüllen.

Andererseits sorgt die Vernetzung idealerweise dafür, dass ich genau weiß, wer meinen Antrag bearbeitet, bei wem ich meinen Pass wann abholen kann, ohne Schlange zu stehen oder ähnliches.

Eine weitere Ebene: Wenn ich Einsicht habe in die Prozesse und Daten der Verwaltung, kann ich meine Lebensumgebung aktiver gestalten.

Haben Sie ein Beispiel für diese Gestaltungsfreiheit?

Mir fällt ein Fall einer Frau in Dänemark ein, die Mitglied einer Initiative für Inkontinenzkranke ist. Die Betroffenen trauen sich oft nicht in fremde Städte, weil sie nicht wissen, wo die öffentlichen Toiletten sind. Diese Frau hat nun mit öffentlich verfügbaren Daten eine Webseite gebaut, auf der alle öffentlichen Toiletten in dänischen Städten verzeichnet sind.

Dieser Fall ist typisch dafür, wie Bürger sich mit Open Data selbst helfen können, wo die Verwaltung nie aktiv geworden wäre, weil es sich um ein Nischenthema handelt.

Birgt das nicht die Gefahr, dass die Verwaltung sich zurückzieht und sagt: Hier sind die Daten, macht euch eure Bürgerdienste selbst?

Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, wenn sich die Verwaltung alle möglichen Services ausdenkt. Es ist mehr wert, wenn sie sich als Plattform versteht, auf die Bürger aufbauen können. Natürlich vereinfacht es die Arbeit der Behörden, wenn sie nicht alles selbst anbieten müssen, was Bürger wünschen. Die Leistung der Verwaltung muss dann aber darin bestehen, den Bürgern die Daten so zur Verfügung zu stellen und aufzubereiten, dass sie damit etwas anfangen können.

Im Rahmen von E-Government mag es nützlich und komfortabel sein, Bürgerdaten bei der Verwaltung zentral zu speichern. In Deutschland gibt es andererseits große Bedenken gegen zentrale Datenspeicherung.

In Deutschland geht man in der Tat beim Datenschutz sehr viel vorsichtiger vor als sonst in Europa. Aber es kann schon sinnvoll sein, Daten zentral zu speichern. Denn heute sieht es oft so aus, dass Daten bei ganz vielen verschiedenen Behörden in vielen verschiedenen Datenbanken liegen, die alle einzeln gepflegt werden müssen. In praktischer Hinsicht macht eine Zentralisierung Sinn.

Bedenken bezüglich Missbrauchs sind also übertrieben?

Wir müssen natürlich immer aktiv und darauf bedacht sein, dass Missbrauch nicht möglich ist. Zum Beispiel in den Niederlanden sammeln Behörden immer mehr Daten ein und wir wissen aus Erfahrung auch, dass diese dann für Zwecke verwendet werden können, die bei der Abfrage noch nicht absehbar sind. Da müssen wir schon sehr aufpassen.

Wie?

Das ist genau das Problem. Die nötigen Kontrollmöglichkeiten hat man nicht so sehr. Das kommt aus meiner Sicht daher, dass wir Datenschutz und Privatsphäre erst als Nachgedanken haben. Wir sammeln die Daten und überlegen erst dann, wie wir sie schützen können.

Die Lösung ist: Wir müssen den Datenschutz bei der Planung von Datenbanken mit einbeziehen, sozusagen "by design".

Was heißt das konkret?

Wenn ich meine Daten irgendwo abgebe, könnte das System beispielsweise so programmiert sein, dass die Daten sich nach einer bestimmten Zeit selbst löschen.

Aber dieses "Privacy by design" ist noch nicht so weit verbreitet. In diesem Bereich muss etwas geschehen.

Woran liegt das?

Vielleicht haben wir lange Zeit nicht realisiert, dass die Nutzung von Internet und mobile Kommunikation nicht nur technische Konsequenzen hat, sondern auch veränderte Organisationsstrukturen nach sich ziehen muss. Es war etwa in der Vergangenheit nicht möglich, die Bürger bei jedem Schritt zu fragen, ob die Daten so verwendet werden dürfen.

Aber inzwischen ist diese Erkenntnis da und die Technik ermöglicht es auch. Aber oft genug nutzt die öffentliche Verwaltung sie noch nicht.

Sie haben schon häufiger mit der EU zusammengearbeitet. Wie geht Europa mit dem Thema E-Government um?

Das ist sehr unterschiedlich, weil die EU-Verwaltung auch aus vielen verschiedenen Teilen besteht. Es gibt eine EU-Direktive zu Public Service Information aus dem Jahr 2003, die von der EU-Kommission kräftig vorangetrieben wird. Die Umsetzung in nationale Gesetze geht aber nur langsam voran und die Anwendung der Gesetze noch viel langsamer.

Die Mittel der EU-Kommission, Druck auf die Mitgliedsstaaten auszuüben, sind beschränkt. Deshalb setzt sie auch auf das Graswurzelprinzip und versucht, Bürger und Organisationen direkt anzusprechen: Holt Euch Euer Recht.

Geht die EU denn in Sachen E-Government mit gutem Beispiel voran?

Da gibt es kein einheitliches Bild. Die EU-Kommission zum Beispiel tut sich schwer, sich mit Bürgern und Organisationen zu vernetzen. Es gibt zwar auf EU-Ebene für Bürger die Möglichkeit im Internet den Fortschritt von Beratungen oder Petitionen zu verfolgen, aber diese Seiten sind für Nutzer nur schwer zu finden.

Im Prinzip – trotz guten Willens – geht es auf EU-Ebene genauso langsam wie anderswo.

Wie weit können nationale Regierungen ihre Bürger mithilfe von E-Government an Entscheidungen beteiligen?

Ich glaube, es wäre sehr wünschenswert für Bürger zu wissen, wie weit bestimmte Prozesse schon vorangeschritten sind. Wann steht eine Entscheidung an, welche Möglichkeiten habe ich, mich am Entscheidungsprozess zu beteiligen, welche Fristen muss ich beachten?

Diese Fragen werden von Verantwortlichen einfach zu selten beantwortet oder die Prozesse sind sehr undurchsichtig. Ich habe den Eindruck, das wird auch bewusst so gemacht. Der Gedanke dahinter: Je mehr Menschen an einem Entscheidungsprozess mitwirken, desto langwieriger wird er.

Politiker sind zu oft bemüht, ihre eigenen Projekte bürgernah im Internet zu präsentieren. Sie beachten zu wenig, was Bürgern wichtig ist.

Das Interview führte Simon Frost.

Ton Zijlstra
Ton Zijlstra

© privat

Ton Zijlstra, 40, berät Organisationen und Behörden zum Thema E-Government und Open Data. Zu seinen Kunden gehören unter anderem die EU-Kommission und Ministerien in den Niederlanden und Dänemark. Auf dem Government 2.0 Camp in Berlin diskutiert der Niederländer mit anderen Experten über die Zukunft der Verwaltung und direkte Demokratie mithilfe des Internets.

Beim Government 2.0 Camp Berlin diskutieren Fachleute aus Politik und Verwaltung mit Internetexperten über neue Möglichkeiten des E-Governments. Die Veranstaltung findet am 30. September in der Bayerischen Landesvertretung und am 1. Oktober in der Bertelsmann Stiftung statt.

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