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Politik: „Ein armer Staat ist nur etwas für Reiche“ Finanzminister Eichel über seinen Kampf mit der Union, Geld für Brüssel und einen teuren Feiertag

DIE ANFÄNGE Hans Eichel kam am 24. Dezember 1941 in Kassel zur Welt.

DIE ANFÄNGE

Hans Eichel kam am 24. Dezember 1941 in Kassel zur Welt. Seine Berufslaufbahn begann er als Gymnasiallehrer. In den 70er Jahren tat er sich in der Kommunalpolitik hervor und wurde später Oberbürgermeister von Kasse. Von 1991 bis 1999 war er hessischer Ministerpräsident, seitdem ist er Bundesfinanzminister.

DER STAR

Nach seinem Amtsantritt 1999 wurde Eichel in den Medien unvermutet zum gefeierten „Spar-Hans“. Ein beliebtes Motiv: der Minister hinter einer Armada von Sparschweinchen.

DER ABSTURZ

Vom Image des Pfennigfuchsers ist wenig geblieben. Eichel macht Schulden, die Opposition hat Klage gegen den Bundeshaushalt und den Nachtragshaushalt 2004 in Karlsruhe angekündigt.

Herr Eichel, die Opposition hat Ihre Finanzpolitik in dieser Woche „asozial“ genannt. Trifft Sie so ein Vorwurf als Sozialdemokrat besonders?

Aber nein, das trifft mich überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil, so etwas fällt immer auf den zurück, der es sagt – nämlich Friedrich Merz. Ich bin 1999 angetreten, um den Staat aus der Schuldenfalle herauszuholen. Und was wir in den letzten Jahren dazu tun konnten, haben wir getan. Wir haben die Ausgaben des Bundes und die staatlichen Finanzhilfen gesenkt. Wir haben den Personalbestand konsequent zurückgeführt. Was wir alleine machen konnten, haben wir umgesetzt. Aber immer, wenn die Opposition Verantwortung übernehmen musste, hat sie sich verweigert. Bis heute mauert die Union beim Abbau der Steuersubventionen. Das Blockadepotenzial beträgt 17,5 Milliarden Euro jährlich. Wenn sich Herr Merz jetzt hinstellt und mir das ganz alleine anlasten will, dann ist das bodenlose Heuchelei. Denn er tut ja gerade so, als ob die Union in Deutschland nie regiert hätte.

Und doch klingt es unsozial, wenn die Löhne in den zurückliegenden Jahren einen immer geringeren Anteil am Volksvermögen ausmachen, dafür die Gewinne der Unternehmen jedoch in Rekordhöhen steigen.

Mit Verlaub, für die Tarifpolitik können Sie mich nicht verantwortlich machen. Diese Bundesregierung hat wie keine andere zuvor zum Einkommen der kleinen Leute beigetragen. Als Helmut Kohl ging, lag der Eingangssteuersatz bei rund 26 Prozent, im Januar 2005 wird er elf Prozent niedriger sein. Wir haben das steuerfreie Existenzminimum und das Kindergeld auf Rekordhöhe angehoben. In keinem anderen Land der OECD zahlen Normalverdiener mit zwei Kindern so wenig Steuern wie in Deutschland. Wir haben also in Zeiten der moderaten Lohnpolitik der Tarifparteien wesentlich zur Steigerung der Realeinkommen der Menschen beigetragen.

Davon merken die Menschen im Land allerdings nicht sehr viel, weil steigende Kosten und Abgaben im Sozialbereich Ihre Steuerentlastung gleich wieder aufgefressen haben.

Das ist falsch. Die Abgaben sind bei genauer Betrachtung gesunken. Ohne unsere Politik wäre der Rentenbeitrag heute bei über 20 Prozent, und auch die Krankenkassenbeiträge wären höher. Jetzt sinken sie wieder allmählich.

Dennoch halten die Leute die Taschen zu, weil sie mit steigenden Energiekosten, höheren Rechnungen für Kinderbetreuung und vielem mehr zu kalkulieren haben. Das Gefühl der Menschen sagt trotz Steuerreform, dass das Land unsozialer geworden ist.

Ich will das ja nicht grundsätzlich bestreiten, aber man kann nicht die Bundesregierung für alles verantwortlich machen. Wir leben in einem föderalen System, und da müssen sich auch die, die in den Ländern regieren, mal fragen lassen, wie sie mit ihrer Verantwortung umgehen. Oder andersherum: Wenn der Bund schon für alles verantwortlich sein soll, dann muss er auch die Kompetenzen dazu bekommen.

Sie stellen den Föderalismus in Frage?

Nein. Worum es mir geht, ist ein sehr deutliches Bekenntnis aller Seiten, des Bundes wie der Länder, zur gemeinsamen Verantwortung für das Land. Was wir in den letzten Jahren beim Thema Subventionsabbau erlebt haben, ist ein Stück aus dem Tollhaus. Aus rein parteitaktischen Gründen wurde der Bund in arge Bedrängnis gebracht, und dabei wurde billigend in Kauf genommen, dass auch die eigenen Länderhaushalte vor die Wand fahren. Ob das so weitergeht oder ob sich die unionsgeführten Bundesländer nun zu ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung – und damit zum Fundament des Föderalismus – bekennen, wird das weitere Verhalten über das Ende der Eigenheimzulage zeigen: Es ist ein erneuter Lackmustest. Hier wird sich zeigen, ob die Ministerpräsidenten der Union den Länderinteressen einen höheren Stellenwert beimessen als der Parteitaktik. Ich bin sehr dafür, mit den Ländern zu deutlich weniger Subventionen zu kommen, allerdings habe ich starke Zweifel, ob dort endlich Einsicht einkehrt.

Und wenn die Union nicht mitmacht?

Dann werden wir unter Umständen gezwungen sein, auch in den nächsten Jahren nach Alternativen zu suchen, die wir ohne die Opposition durchsetzen können. Ich weise aber darauf hin: Schon in diesem Jahr machen fünf Bundesländer mehr Schulden als sie investieren, davon drei unionsregierte. Allen voran das reiche Hessen. Das kann so nicht weitergehen.

Die Union ist also daran schuld, wenn wir gezwungen sind, unser Vermögen Stück für Stück aufzufressen, wenn der Staat immer weniger Geld in Schulen und Straßen investieren kann und damit zwangsläufig immer ärmer wird?

Das ist die logische Konsequenz. Und die Wähler werden darüber abzustimmen haben, ob sie den armen Staat wollen. Sie müssen aber wissen, dass nur Reiche sich einen armen Staat leisten können. Man darf nicht vergessen: Ohne die Blockade der Union bei den Subventionen wären bis 2006 im Bund und bei den Ländern mehr als 20 Milliarden Euro weniger Schulden gemacht worden.

Oder es wäre noch mehr Geld ausgegeben worden.

Die einzigen Posten, die in den letzten Jahren in meinem Haushalt angestiegen sind, sind die Rentenzuschüsse, die Kosten für Arbeitslosigkeit und die Ausgaben für Forschung. An allen anderen Stellen haben wir gespart, und zwar nicht zu knapp.

Warum reicht das Geld dann trotzdem nicht aus?

Das liegt an der Konjunktur, wir haben eine dreijährige Stagnationsphase hinter uns, die niemand, auch nicht die Forschungsinstitute, vorhergesehen hatte.

Die deutsche Wirtschaft wächst doch.

Das stimmt, wir sind aus der Stagnation heraus. Aber 2004 ist das erste Wachstumsjahr. Bis sich das in steigenden Steuereinnahmen und sinkenden Arbeitsmarktkosten niederschlägt, dauert es noch. Nachdem das Wirtschaftswachstum zuerst nur vom Export bestimmt wurde, ziehen jetzt die Investitionen an. Wir können also darauf hoffen, dass die Konsumlähmung im Inland im nächsten Jahr endet und die Binnenkonjunktur antreibt.

Zurück zur Gerechtigkeit: Muss die Erbengeneration demnächst stärker zur Finanzierung von Zukunftsinvestitionen herangezogen werden?

Wer die Erbschaftsteuer erhöhen will, muss zuerst Mehrheiten im Bundesrat haben, denn sie ist eine Ländersteuer. Klar ist, dass der Bund seiner Verpflichtung nachkommen wird, das anstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gesetzlich umzusetzen. Da werden wir nicht untätig herumsitzen. Dabei geht es allerdings vor allem um Bewertungsfragen.

Schafft die anstehende Reform des europäischen Stabilitätspaktes mögliche Spielräume für neue Investitionen?

Auf jeden Fall nicht durch höhere Schulden. Denn wir haben nicht nur den Maastrichtvertrag mit seiner Drei-Prozent-Grenze einzuhalten, sondern auch das Grundgesetz. Bei unseren Bemühungen in Brüssel geht es nicht darum, irgendwelche Ausgaben aus dem Defizit herauszurechnen, damit wir anschließend mehr Schulden machen können. Wir wollen, dass unsere Ausgaben für die Europäische Union neu bewertet werden und Deutschland bei der Berechnung des Defizits nicht dafür bestraft wird, dass es Zahlungen an die EU leistet. Denn das ist nicht gerecht. Wenn das deutsche Defizit bei drei Prozent liegt, muss man schon in die Bewertung einbeziehen, dass wir 0,5 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes nach Brüssel überweisen. Ich glaube, das kann ein so großer Nettozahler wie Deutschland verlangen.

Herr Eichel, mit Ihrem Vorschlag, den Feiertag am 3. Oktober zu streichen, sind Sie auf breiter Front gescheitert. Bereuen Sie?

Es gibt keinen Grund dafür. Die Wiedervereinigung ist ökonomisch ein weitaus schwierigerer Prozess, als uns das Helmut Kohl 1990 vorgemacht hat. Sie zu feiern, hat diese Generation allen Grund. Um sie zu schultern, muss diese Generation aber auch mehr leisten – und mehr arbeiten. Das war der Grund meines Vorschlags, und dazu stehe ich.

Das Interview führten Tissy Bruns, Antje Sirleschtov und Ursula Weidenfeld. Das Foto machte Mike Wolff.

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