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Politik: Ein Augenblick des Waffenstillstands

Das Video von bin Laden vereint die US-Präsidentschaftskandidaten in Abscheu – aber nur für kurze Zeit

Es war, als hielte die Nation für einen kurzen Augenblick den Atem an. Die Nachrichtensender verbreiteten am Freitagnachmittag aufgeregt die Neuigkeit vom jüngsten Video mit der Ansprache des Al-Qaida-Chefs Osama bin Laden an das amerikanische Volk, und George W. Bush schlüpfte für Minuten zurück von der Rolle des verbissenen Wahlkämpfers in die des Sicherheit und Zuversicht ausstrahlenden Präsidenten. Selbst sein demokratischer Herausforderer John Kerry gab sich staatsmännisch. Doch natürlich hielt der Anflug von Gemeinsamkeit im Endspurt des US-Wahlkampfes nicht lange.

In einem eilig inszenierten Statement vor dem in Toledo/Florida geparkten Präsidenten-Flugzeug Air Force One sagte Bush, die Stirn tief in Falten: „Die Amerikaner lassen sich durch einen Feind unseres Landes nicht einschüchtern oder beeinflussen. Ich bin mir sicher, Senator Kerry stimmt darin mit mir überein. Ich möchte dem amerikanischen Volk noch sagen, dass wir uns im Krieg mit den Terroristen befinden und ich bin zuversichtlich, dass wir gewinnen.“ Kerry echote aus West Palm Beach/Florida: „Wir Amerikaner sind absolut vereint in unserem Ziel, Osama bin Laden und die Terroristen zu fangen und zu zerstören. Sie sind Barbaren. Und nichts kann mich stoppen, sie zu jagen, einzufangen oder zu töten, wo immer sie auch sind, was immer dazu auch notwendig ist. Basta.“

Damit war der Waffenstillstand an der Heimatfront aber auch schon wieder beendet. Kerry nutzte danach die Gelegenheit, das Wahlvolk daran zu erinnern, dass der Präsident den Terrorchef habe davonkommen lassen – damals, im Showdown in den afghanischen Bergen. Sein Standard-Argument: Weil Bush längst mit der Planung des falschen Krieges, dem gegen Irak, beschäftigt war, habe er die Mission in Tora Bora nicht zu Ende geführt. „Das war ein enormer Fehler“, sagte Kerry, „heute zahlen wir den Preis dafür.“ Unterdessen waren seine Helfer eilig damit beschäftigt, auf arabische Webseiten zu verweisen, die belegen sollen, dass der Irakkrieg al Qaida als glänzendes Rekrutierungs-Argument dient.

Ein Sprecher des Weißen Hauses wiederum nannte Kerrys Vorhaltungen „schamlos“. Bush selbst wiederholte die alte Leier, wonach er davon überzeugt sei, dass bin Laden sich Kerry als nächsten Präsidenten wünsche. Immerhin bot das Video ihm eine willkommene Ablenkung vom jüngsten Skandal. Wie die rund 350 Tonnen hoch sensiblen Sprengstoffs unter den Augen der US-Soldaten im Irak verschwanden, dafür hat das Pentagon immer noch keine Erklärung. Die konservative „New York Post“ nahm das Video gar zum Anlass, sich über bin Laden lustig zu machen. In Anspielung auf Halloween an diesem Wochenende druckte sie dessen Bild auf die Titelseite, begleitet mit dem Kinderspruch „Trick or Trea“ – Süßigkeiten her, oder wir ärgern dich.

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