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Politik: Ein Begriff, zwei Meinungen

Die EU und Russland wollen eine Modernisierungspartnerschaft – aber beide Seiten verstehen sehr Verschiedenes darunter

Berlin - Es war einer dieser Gipfel mit heiteren Bildern und wolkigen Erklärungen: Im Juni vereinbarten Russland und die Europäische Union in Rostow eine „Modernisierungspartnerschaft“. Diese folge dem deutsch-russischen Vorbild, hatte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) nicht ohne Stolz betont. Den Begriff hatte sein Vorgänger Frank-Walter Steinmeier (SPD) geprägt. Inzwischen wird jedoch deutlich, dass Europäer und Russen unter dieser Modernisierung keineswegs das Gleiche verstehen. In Berlin und anderen europäischen Hauptstädten macht sich Ernüchterung breit.

„Die Vorstellungen über Zeitplan und Reichweite der geplanten Modernisierung gehen bis heute weit auseinander“, sagte Andreas Schockenhoff (CDU), Koordinator für deutsch-russische zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit, bei einer Konferenz in Berlin. Teile der russischen Eliten wollten eine „konservative Modernisierung“, eine „wirtschaftlich-technologische Erneuerung von oben, ohne systemische Veränderungen“. Dies führe unvermeidlich zu Korruption, warnte der Vizevorsitzende der Unionsfraktion. Zwischen der EU und Russland gebe es eine „Wertelücke“. Außerdem rief Schockenhoff die russische Führung auf, die eigene Bevölkerung in den Prozess einzubeziehen. Diese Kritik wies Konstantin Kossatschow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der russischen Duma, zurück. Zwar gebe es „teilweise interne Probleme mit dem Projekt der Modernisierung“, sagte er. „Aber die Führung genießt die Unterstützung der Bevölkerung.“

Die Bilanz im Verhältnis zwischen der EU und Russland fällt derzeit bescheiden aus: Die Verhandlungen über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen sind ins Stocken geraten. Moskau scheiterte zudem beim Gipfel in Rostow mit dem Wunsch, schnell Visafreiheit zu erreichen. Die neue Partnerschaft soll Investitionen erleichtern und den Handel fördern. Auch in den Bereichen Verkehr, Energieeffizienz und Forschung wollen beide Seiten zusammenarbeiten. Der russische Präsident Dmitri Medwedew hatte im vergangenen Jahr in einem Brandbrief mit dem Titel „Russland, vorwärts“ den Umbau des Landes zu einer Innovationsgesellschaft gefordert und Rückständigkeit und Korruption angeprangert. „Es ist der russischen Führung bewusst, dass Modernisierung notwendig ist“, sagt Hans- Henning Schröder, Leiter der Forschungsgruppe Russland/GUS der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Aber Modernisierung darf sich nicht auf Straßenbau und Industrieanlagen beschränken.“

Die EU hat Wert darauf gelegt, Problembereiche wie Rechtsstaatlichkeit und den Dialog mit der Zivilgesellschaft im Rahmen der neuen Partnerschaft zu behandeln. Hier erntet Moskau derzeit massive Kritik aus Berlin: So beklagte der Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning (FDP) „verstärkte staatliche Willkür“ gegen Nichtregierungsorganisationen in Russland und ein falsches Verständnis von Demonstrations- und Meinungsfreiheit. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) setzte ebenfalls ein Signal, als sie am Mittwochabend in Berlin bei einer Veranstaltung zum Prozess gegen den früheren Jukos- Chef Michail Chodorkowski auftrat. Der Fall müsse weiterhin offen angesprochen werden, sagte die Ministerin.

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