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Politik: „Ein Bollwerk der Rechtsstaatlichkeit“

Der Völkerrechtler Nolte über die Rolle der Justiz im Nahostkonflikt und die Urteile zum Sperrwall

Heute entscheidet der Internationale Gerichtshof über den Sperrwall in Nahost. Welche Folgen wird das haben?

Es ist unwahrscheinlich, dass sich der Gerichtshof festlegt, ob der Sicherheitszaun im Ganzen rechtmäßig ist oder nicht. Es handelt sich um einen Gutachtenantrag der Generalversammlung der Vereinten Nationen, nicht um einen echten Rechtsstreit. Der Spruch ist daher rechtlich unverbindlich. Durch die öffentliche Aufmerksamkeit erhält er aber eine Bedeutung, die einem Urteil nahe kommt.

Wird das Völkerrecht damit zu einem Maßstab im Nahostkonflikt?

Neu ist, dass die UN-Generalversammlung den Konflikt vor Gericht gebracht hat. Möglicherweise wird sie das auch in Zukunft wieder tun. Darin liegt allerdings auch eine Gefahr. Wenn in Den Haag Gutachten erstattet werden, Israel diese jedoch nicht beachtet, könnte das dem Gerichtshof schaden. Man würde ihn dann nicht mehr ernst nehmen. Völkerrecht ist aber auf Akzeptanz angewiesen, weil es keine Zwangsmittel gibt, es sei denn, der Sicherheitsrat beschließt sie. Daran wird auch das Gericht denken.

Nahost ist ein hochpolitisches Thema von weltweiter Dimension. Können Richter da unabhängig entscheiden?

Das Gericht hat in der Vergangenheit bewiesen, dass es rechtliche Aspekte von politischen zu trennen vermag, etwa im Urteil zur Pflicht von konsularischem Beistand für ausländische Todeskandidaten in den USA. Das Urteil wird jetzt befolgt, auch wenn es politisch umstritten war.

Welches sind die rechtlichen Kriterien beim Streit um den Sicherheitszaun?

Es ist ein legitimes Anliegen Israels, sich vor Terroristen zu schützen. Aber die Frage, wo der Zaun verläuft, ist eine rechtliche. Dies hat auch das Urteil des israelischen obersten Gerichts von vergangener Woche gezeigt. Israel muss den Verlauf der Mauer in Teilstücken nun korrigieren, zugunsten der Palästinenser.

Das israelische oberste Gericht hat die Regierung bereits häufiger verurteilt, etwa wegen des militärischen Vorgehens in den Palästinensergebieten. Warum hat das so selten Folgen?

Dieser Eindruck trügt. Zwar ist der Gerichtshof in einer schwierigen Lage, weil der Gesetzgeber ihn abschaffen könnte. Aber seine Urteile werden beachtet und umgesetzt, gerade beim Umgang mit Terrorverdächtigen. Die Richter müssen demnächst über die Frage gezielter Tötungen befinden. Ich wage keine Prognose, bin aber sicher, dass sich die Behörden an die Entscheidung halten werden.

Kann das Gericht in Nahost zu einem Friedensstifter werden?

Es kann zumindest einen Beitrag leisten. Manche Probleme sind rechtlich schwer zu entscheiden, insbesondere wenn es um Gewalt geht. Wann zum Beispiel ist der Abriss von Häusern in einem Flüchtlingslager eine völkerrechtswidrige Kollektivstrafe und wann eine durch militärische Notwendigkeit gerechtfertigte Aktion? Hier muss die Justiz dem Militär ein gewisses Ermessen einräumen. Dennoch habe ich den Eindruck, dass sich das israelische oberste Gericht als ein Bollwerk der Rechtsstaatlichkeit in Nahost entwickelt.

Das Gespräch führte Jost Müller-Neuhof.

Georg Nolte (44) lehrt Öffentliches Recht, Völkerrecht und Rechtsvergleichung in Göttingen und gehört zu einem Expertenteam des Europarats für internationale Verfassungsfragen.

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