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Politik: Ein Erfolg zur rechten Zeit

Ein Datum haben die Bewohner von Masar-i-Scharif noch genau im Kopf: Es ist der 8. August 1998.

Ein Datum haben die Bewohner von Masar-i-Scharif noch genau im Kopf: Es ist der 8. August 1998. An diesem Tag eroberten die Taliban-Milizen die viertgröße afghanische Stadt. In ihr leben etwa 130 000 Menschen, von denen viele zur Gruppe der Iranisch sprechenden Hazaras gehören. Das sind Schiiten, die von den sunnitischen Taliban als Ungläubige verachtet werden. Masar-i-Scharif ist eine multikulturelle Stadt. Am Abend jenes 8. August machte der neue Taliban-Gouverneur der gerade eroberten Stadt, Mullah Manon Niazi, eine Durchsage über den Lautsprecher der größten Moschee. "Hasaras sind keine Muslime, sondern Schiiten. Falls sie unsere Regeln nicht akzeptieren, werden wir sie töten und ihre Häuser in Brand stecken", sagte er nach Angaben der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch".

Um zu demonstrieren, wie ernst er seine Drohung meinte, schickte der Mullah anschließend seine Soldaten von Tür zu Tür. Wer kein sunnitisches Gebet aufsagen konnte, wurde auf der Stelle umgebracht. Als Abschreckung und Warnung wurden die toten Körper dann fast eine Woche lang auf den Straßen liegen gelassen. Es waren mehr als sechstausend.

Zum Thema Online Spezial: Terror und die Folgen Themenschwerpunkte: Krieg - Afghanistan - Bin Laden - Islam - Fahndung - Bio-Terrorismus Fotostrecke: Der Krieg in Afghanistan Die meisten Bewohner der Stadt halten daher zu den Rebellen der Nordallianz. Deshalb zogen die Taliban nach der Rückeroberung vollständig ab, anstatt sich unter die Zivilbevölkerung zu mischen und einen Guerillakrieg zu führen. In Masar-i-Scharif haben sie nicht genügend Anhänger. Trotzdem fürchtet Washington, dass es im Verlaufe dieses Krieges sowohl im Norden des Landes als auch im Süden zu spontanen Racheakten kommen kann. Zu viele Menschen haben unter der Brutalität der Taliban gelitten. Eindringlich wurde den Rebellen der Nord-allianz deshalb eingeschärft, keine neuen Gräueltaten zu verüben.

Falls die Emotionen im Zaun gehalten werden und die Taliban keine Gegenoffensive starten, ist die Einnahme von Masar-i-Scharif der erste sichtbare Erfolg des amerikanischen Krieges gegen die Terrororganisation "Al Quaida" und deren Schutzmacht, die radikalislamische Taliban-Miliz. Ein Erfolg zur rechten Zeit: Insbesondere in Europa und in vielen arabischen Ländern war in der vergangenen Woche die Skepsis über die Effizienz des vierwöchigen Bombardements gewachsen.

Die Regierung von Präsident George W. Bush hofft, dass diese Stimmen jetzt etwas leiser werden. Ebenso hofft sie auf ein Nachlassen der inneramerikanischen Forderungen nach einem massiven Einsatz von Bodentruppen. Die Einnahme von Masar-i-Scharif wird als Beleg gewertet, dass die Strategie stimmt: Zunächst die politische und finanzielle Isolierung der Terroristen, dann die Zerstörung der Luftabwehr und Infrastruktur der Taliban, schließlich gezielte Angriffe auf Frontstellungen, um die auf dem Boden kämpfende Opposition zu unterstützen.

Auch strategisch ist Masar-i-Scharif, das an der historischen Seidenstraße liegt, von großem Nutzen. Der militärische und humanitäre Nachschub kann nun bedeutend besser organisiert werden. Etwa 75 Prozent der vom Hunger bedrohten Afghanen leben in der Nordhälfte des Landes. Ihre Versorgung ist sehr viel einfacher geworden. Die beiden Flughäfen wiederum könnten von den USA als Stützpunkte genutzt werden.

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