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Politik: Ein Ergebnis – viele Sieger

In den G-8-Staaten wird der Klimakompromiss sehr unterschiedlich eingeschätzt. Nur in einem sind nahezu alle einig: Merkel hat erfolgreich verhandelt.

Von Markus Hesselmann

GROSSBRITANNIEN

„Durchbruch“ oder „toter Papagei“?

Britische Fernsehzuschauer blickten oft neidisch nach Deutschland. BBC-Reporter Paul Adams stand vor Strandkörben, im Hintergrund blauer Himmel und die einladende Ostsee. „Die deutschen Gastgeber tun alles, um unseren Aufenthalt hier angenehm zu machen“, sagte der Reporter. Daheim auf der Insel ist das Wetter eher herbstlich kühl und regnerisch. Von Erderwärmung keine Spur.

Trotz aller deutschen Gastfreundschaft bewerteten britische Medien das Ergebnis des Gipfels sehr unterschiedlich: Die BBC nannte den Klimadeal trotz aller Schwammigkeit ein „Schlüsselereignis“ und einen „Durchbruch“, weil die lähmende Pattsituation zwischen Europa und den USA überwunden worden sei. Angela Merkel habe „einen Kompromiss erarbeitet, ohne ihre Prinzipien aufzugeben“. Die Zeitung „Independent“, die sich seit einiger Zeit mit groß aufgemachten Umweltthemen profiliert, sah das anders: Der Gipfel sei für Angela Merkel „keine kalte Dusche, sondern ein Platzregen“. Der Kolumnist des Blattes verglich die Bundeskanzlerin mit der Hauptfigur aus einem Monty-Python-Sketch, in dem der Besitzer einer Tierhandlung einem Kunden einen toten Papageien als lebendig verkaufen will. So tot wie dieser Papagei sei nun der Kyoto-Prozess. Der konservative „Daily Telegraph“ schrieb, das Ergebnis von Heiligendamm gebe Hoffnung, kritisierte aber „zu viel Effekthascherei und zu wenig Fortschritt“.

Harsche Kritik kam von Greenpeace UK, der britischen Sektion der Umweltorganisation. „Bushs letztes Geschenk an Blair ist nicht das, was der Klimaschutz braucht. Ein Abkommen ohne Ziele ist kaum das Papier wert, auf dem es steht“, sagte Greenpeace-Direktor John Sauven. „Dieses Dokument erkennt den Ernst der Lage an und duckt sich dann weg mit schwammigen Begriffen wie ‚ernsthaft darüber nachdenken‘, als ob es hier um Smalltalk nach dem Dinner ginge und nicht um das wichtigste Problem unserer Zeit.“ Markus Hesselmann



ITALIEN

„Mehr war nicht drin“

Der Regierungschef ist zufrieden, die Medien sind es auch – halbwegs wenigstens. Italien beschreibt die Vereinbarungen der G-8-Runde zum Klimaschutz durchweg als „das Maximale, das unter den politischen Umständen zu erreichen war“. Bundeskanzlerin Angela Merkel, „die zwar nicht droht, aber auch nicht nachgibt“, bekommt ansehnliche bis hervorragende Noten für ihr Leitungsgeschick. Ministerpräsident Romano Prodi nennt die Klimaergebnisse von Heiligendamm einen „guten Kompromiss“; endlich würden die alarmierenden Berichte der Wissenschaft zur „geltenden Lehre“ und endlich könnten sich die USA der weltweiten Besorgnis anschließen.

Die Turiner Zeitung „La Stampa“ nennt den Klimakompromiss in der Schlagzeile zwar „enttäuschend“, rühmt im Text aber unter anderem die Tatsache, dass sich künftig die UN des Themas annehmen sollten, als „bedeutsam“: „Angesichts der vorhergehenden Zerwürfnisse zwischen den USA und Europa war es schwer, mehr zu erreichen.“ Der Mailänder „Corriere della Sera“ als auflagenstärkste Zeitung Italiens schlägt sich voll auf die Seite der Bundeskanzlerin. Zwar sei das Ergebnis „nicht perfekt, aber eine echte Wende“: „Merkel, die Hausherrin, hat beim G-8-Gipfel gesiegt.“

Auch die römische „Repubblica“ lobt Merkel als erfolgreiche Anführerin Europas. In seinem offenbar bereits vor dem Gipfel verfassten Essay aber bemängelt Carlo Petrini, der „Erfinder“ der Slowfood-Bewegung, die Industriestaaten täten zu wenig zur Förderung erneuerbarer Energiequellen: „Der Berg hat gekreißt und eine Maus geboren.“ Paul Kreiner



FRANKREICH

„Die Zeit nach Bush

Der Kompromiss zum Klimaschutz stand im Mittelpunkt der französischen Reaktionen auf die Ergebnisse des Gipfeltreffens in Heiligendamm. „G 8 – ein besseres Klima“ titelte die Zeitung „Libération“. Der „Figaro“ hob in seiner Schlagzeile die Schwierigkeit des Zustandekommens der Einigung hervor und vermerkte in der Unterzeile die Zufriedenheit des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy über diese „ziemlich unerwartete Einigung“ im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Das Verdienst um diesen Erfolg weisen die Kommentatoren Bundeskanzlerin Angela Merkel zu. Sie habe angesichts des Widerstands des US-Präsidenten George W. Bush einen Fehlschlag „ihres“ Gipfels in der wichtigsten Frage, die derzeit die Menschen bewegt, befürchten müssen, habe sich aber, nicht zuletzt auch dank der Unterstützung Sarkozys, wie „Le Figaro“ hervorhebt, durchsetzen können. Das wird von nahezu allen Zeitungen betont. Skeptisch hinsichtlich der Tragweite des Kompromisses äußert sich die Wirtschaftszeitung „Le Tribune“. Um das Klima wirklich zu verbessern, wäre mehr nötig gewesen als ein unverbindliches Zugeständnis Bushs, das jeder nach seinem Geschmack auslegen könne, schreibt die Zeitung. Der Kompromiss werde wichtiger präsentiert, als er in Wirklichkeit sei. Ähnlich urteilt „Libération“. Bushs Zusage stelle kein festes Engagement dar. Der Kompromiss eröffne jedoch die Aussicht auf eine nahe Zukunft, die mit viel Hoffnung verbunden sei – eine neue Ära für das Klima, die sich ganz einfach „die Zeit nach Bush“ nennt. Hans-Hagen Bremer



USA

Raketen statt Klima

Die US-Medien haben Themen und Ergebnis des G-8-Gipfels völlig anders bewertet als die deutschen. Am wichtigsten war für sie George W. Bushs Gespräch mit Wladimir Putin zur Raketenabwehr. Zweiter Schwerpunkt ist die Afrikahilfe, deren Hauptbeitrag die USA leisten und wo aus US-Sicht nicht die Kanzlerin die Antreiberin war, sondern neben Popstars wie Bono das Duo Bush/Blair.

Der Klimakompromiss rangiert an dritter Stelle. Die offizielle Bewertung als „großer Erfolg“ oder „Durchbruch“ wird mit Skepsis behandelt. Bush habe ein Scheitern verhindert, indem er auf Merkels Wunschziel einer Halbierung der Emissionen bis 2050 einging. Er habe sich aber nicht gebunden, sondern wie Russland nur ein „ernstes Bemühen“ zugesagt. Dafür sei Bushs Strategie in die Schlusserklärung aufgenommen worden, dass jedes bindende Abkommen auch China und Indien verpflichten müsse. Bush möchte diesen Ansatz an die Stelle des 2012 auslaufenden Kyoto-Prozesses setzen. Er ist zur Kooperation im UN-Rahmen bereit, möchte die Weichen aber bis Ende 2009 durch internationale Treffen in den USA stellen. Christoph von Marschall



KANADA

Afrika statt Klima

Kanadische Zeitungen widmen sich der Klimapolitik und Afrika gleichermaßen. Beides sind Streitthemen zwischen den seit 2006 regierenden Konservativen unter Stephen Harper und den Liberalen, die zuvor zwölf Jahre an der Macht waren. Harper, ursprünglich ein Gegner des Kyoto-Protokolls, hat Merkels Ziel einer Halbierung der Treibhausgase bis 2050 im Gegensatz zu Bush und Putin mitgetragen, betonen die Medien. Insgesamt habe die Kanzlerin die selbst gesteckten Ziele aber nicht erreicht, man wundert sich über ihre „rosige Bewertung“.

Bei der Afrikapolitik werfen die Liberalen Harper vor, er habe ihre Hilfszusage von 2,8 Milliarden Dollar auf 2,1 Milliarden verkürzt. Er will einen Teil der Hilfe von Afrika nach Südamerika verlagern, analysiert die Zeitung „Globe and Mail“ und zitiert Harper mit den Worten: „Wir bleiben Afrika verpflichtet, aber unser neuer Fokus ist der amerikanische Kontinent.“ Christoph von Marschall

RUSSLAND

Ein Loblied auf die Polizei

Russische Journalisten sangen unisono ein Loblied auf die Arbeitsbedingungen im Pressezentrum des G-8-Gipfels in Heiligendamm. Positiv vermerkt wurde auch, dass Grenzschutz und Polizei vor Fragen zu den Aktivitäten der Globalisierungskritiker nicht kniffen, sondern Rede und Antwort standen. Derartiges sind russische Medienvertreter von den hiesigen Anti-Putin-Märschen nicht gewöhnt.

Ausführlich berichteten elektronische und Printmedien über die Bemühungen der Staatschefs, die Emission von Treibhausgasen zu senken. Außen vor blieb dabei jedoch, dass keine Verpflichtungen vereinbart wurden. Hiesige Kommentatoren erklärten das vor allem mit Bemühungen der Gastgeber, angesichts der komplizierten internationalen Großwetterlage Reibungen zu vermeiden. Mehrere große Zeitungen hatten im Vorfeld sogar prophezeit, der Gipfel werde an der unterschiedlichen Interessenlage der Teilnehmer scheitern. Dass es nicht zum Eklat kam, wird vor allem mit dem diplomatischen Geschick von Angela Merkel erklärt, die in Russland auch sonst sehr gut ankommt. Elke Windisch



JAPAN

Ein eigener Erfolg

Vor der Abreise nach Deutschland hatte Japans Premierminister Shinzo Abe noch einmal klargemacht, welches Thema seiner Regierung in Heiligendamm besonders am Herzen liegen würde: das Klima. Da er noch deutliche Differenzen zwischen den USA und der Europäischen Union ausmachte, sah sich der Regierungschef höchstselbst in einer Vermittlerrolle. Eine Position, die offenbar auch von der medialen Öffentlichkeit so wahrgenommen worden ist, denn dementsprechend wird nun der G-8-Kompromiss auch als Erfolg von Japans Premierminister gewertet.

Die Zeitung „Sankei Shimbun“ feiert „Japans Überzeugungsarbeit“, die „Nihon Keizai Shimbun“ schreibt immerhin von „Japans und Deutschlands Überzeugungsarbeit“, die „hinter den Kulissen erfolgte“. Die „Yomiuri Shimbun“ sieht ebenfalls einen Erfolg Japans und der EU gegenüber den USA, die durch die Einigung in Zukunft am neuen Klimaregime beteiligt seien – ebenso wie China und Indien. Allerdings gibt der Kommentator zu, dass unterschiedliche Interessen zwischen Industrie- und Schwellenländern auch künftig „härtere Konflikte“ verursachen würden.

In jedem Fall soll das Klima auch bei dem G-8-Gipfel im kommenden Jahr eine große Rolle spielen, zu dem dann Japan einladen wird. Der designierte G-8-Vorsitzende Shinzo Abe hat deshalb bereits den Vorschlagskatalog „Cool Earth 50“ erstellen lassen, um die Treibhausgase bis 2050 zu halbieren. Außerdem strebt Abe einen neuen finanziellen Unterstützungsmechanismus für Entwicklungsländer an. Ruth Ciesinger

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