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Politik: „Ein ganz unangenehmes Warnzeichen“

Jugendforscher Hurrelmann über Kinderarmut, ihre Ursachen und Folgen für die Zukunft der Gesellschaft

Von Michael Schmidt

Berlin - Die Konjunktur brummt, die Gehälter der Manager steigen – und gleichzeitig erreicht die Kinderarmut in Deutschland einen Rekordstand. Mehr als 1,9 Millionen Kinder bis 15 Jahre gelten als arm in dieser reichen Republik. Weil sie in Familien leben, deren Einkommen sich aus dem Arbeitslosengeld II speist – das häufig nicht einmal fürs Schulessen reicht. „Erschreckend“ findet Klaus Hurrelmann, dass sich die Kinderarmut hierzulande schneller ausbreite als in vergleichbaren Staaten und schneller auch als die Armut unter Erwachsenen. „Das ist ein ganz unangenehmes Warnzeichen“, sagt der Bielefelder Kinder- und Jugendforscher. Zeige es doch, „dass Menschen mit Kindern von der Hartz-Gesetzgebung besonders hart getroffen werden“.

Gesetzgebung und Arbeitsleben nähmen „strukturell auf das Kinderhaben keine Rücksicht“ und „die Gesellschaft muss sich fragen, welche Folgen es für ihre eigene Zukunftsfähigkeit hat, wenn immer weniger Kinder geboren werden – und davon immer mehr arm sind“. Denn die relative ökonomische und finanzielle Schlechterstellung des Nachwuchses strahle „in alle möglichen Bereiche aus“. Ob Kleidung, Handys oder Schulausflüge: Man kann sich nicht leisten, was andere sich leisten können. Die soziale und kulturelle Ausgrenzung führe dazu, dass man mit einem angeschlagenen Selbstwertgefühl durchs Lebens gehe. Man müsse sich als Kind damit auseinandersetzen, dass man anders ist als andere, dass man sich weniger darstellen, weniger profilieren kann. „Das kann gerade in der Pubertät schwierig sein“, sagt der 63-Jährige. Kinder aus armen Familien hätten zudem ein größeres Gesundheitsrisiko – sie ernähren sich schlechter, die Hygiene leidet – und schlechtere Bildungschancen. Ja, sagt Hurrelmann, eine Anpassung der Hartz-IV-Sätze sei nötig, eine Ausweitung des Kinderzuschlags, wie am Montag von der CDU beschlossen, wünschenswert. Aber „eine Debatte über Transferleistungen allein halte ich für eine Verengung“, sagt Hurrelmann.

Denn die eigentliche Ursache der Kinderarmut sei „die mangelnde Gelegenheit, Geld durch eigene Erwerbsarbeit in die Haushaltskasse zu bekommen“. Es gebe eine Spaltung in Arm und Reich, Ost und West, Stadt und Land, aber die sei nicht ursächlich. Ursächlich sei vielmehr „die jeweilige Erwerbsstruktur in den Familien“. Kinderarmut, sagt Hurrelmann, sei dort am größten, wo Eltern Schwierigkeiten haben, sich auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren, „das heißt vor allem bei Alleinerziehenden, bei Familien mit vielen, drei oder mehr, Kindern und bei Familien mit Migrationshintergrund“. Der eigentliche Hebel für eine Lösung des Problems bestehe mithin in mehr Jobs, besserer Bildung, guten Betreuungsmöglichkeiten: Am Ende nämlich, so Hurrelmann, gehe es „auch hier um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie“.

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