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Politik: "Ein Gefängnis unter freiem Himmel"

Rudolf Bindig denkt nicht gern an seine letzte Reise nach Tschetschenien. Mit einer Delegation des Europarats fuhr der SPD-Abgeordnete im Dezember nach Grosny, um dort mit Vertretern von Regierung und Armee über eine politische Lösung des Konflikts zu reden.

Rudolf Bindig denkt nicht gern an seine letzte Reise nach Tschetschenien. Mit einer Delegation des Europarats fuhr der SPD-Abgeordnete im Dezember nach Grosny, um dort mit Vertretern von Regierung und Armee über eine politische Lösung des Konflikts zu reden. Doch während die Delegation noch Gespräche über die Einhaltung der Menschenrechte führte, begann in der tschetschenischen Stadt Argun eine so genannte "Säuberungsaktion".

Auf der Suche nach Rebellen durchkämmten russische Truppen die Stadt - zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen kam es dort zu schweren Übergriffen auf Zivilisten. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial dokumentiert in einem neuen Bericht, dass allein in Argun über 120 Einwohner festgenommen und in ein Lager gebracht wurden, wo sie bei Minusgraden unter freiem Himmel ausharren mussten. Zwei Männer wurden nach Angaben von Memorial getötet, der Aufenthaltsort von zwei weiteren ist unbekannt. Zu ähnlichen "Säuberungen" kam es fast zeitgleich in drei weiteren Orten.

"Die russischen Behörden haben aus Tschetschenien ein Gefängnis unter freiem Himmel gemacht, ein Ghetto, in dem Willkür und Gewalt herrschen" - so drastisch beschreibt die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" in ihrem am Freitag in Paris vorgestellten Bericht die Lage in der Kaukasusrepublik. Der Krieg treffe in erster Linie eine Zivilbevölkerung, die all ihrer Rechte beraubt sei und mit den Rebellen gleichgestellt werde. Seit den Anschlägen vom 11. September gebe es einen Blanko-Scheck für alles, was als Anti-Terror-Operation dargestellt werde, kritisiert "Ärzte ohne Grenzen". Mit der russischen Offensive in diesem Winter hat sich der Strom der Flüchtlinge ins benachbarte Inguschetien verstärkt. Auf die Hilfe der Behörden können sie dort nicht zählen.

Für "Ärzte ohne Grenzen" ging die Resolution des Europarats in der vergangenen Woche nicht weit genug. Von einer scharfen Verurteilung Moskaus sah das Gremium ab, offenbar um die eigenen Vermittlungsbemühungen nicht zu gefährden. Dennoch fand der Europarat zu klaren Forderungen, etwa nach Gesprächen mit dem Tschetschenen-Führer Aslan Maschadow. "Es gibt keine Alternative zu Friedensverhandlungen ohne Vorbedingungen", heißt es in der Resolution. Der Europarat äußerte Besorgnis über die Menschenrechtsverletzungen und den mangelnden Fortschritt bei der Untersuchung schwerer Verbrechen. "In Tschetschenien herrscht ein Klima der Straflosigkeit", sagt Bindig. Ermittlungen zu Übergriffen auf Zivilisten verliefen zumeist im Sande. "Es hat so gut wie gar keine Verbesserungen gegeben."

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