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Trauer um einen von vielen Toten: Courteney Ross, die Verlobte von George Floyd, umarmt bei einer Gedenkfeier Toshira Garraway (rechts), Gründerin einer Selbsthilfeorganisation für die Opfer von Polizeigewalt.

© Kerem Yucel

Ein Jahr nach dem Tod von George Floyd: Verdächtig ist, wer nicht weiß ist

Zum Jahrestag des Todes von George Floyd: Europas Grundrechte-Agentur legt umfassende Daten zu diskriminierenden Polizeikontrollen auch hier vor. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Es ist so peinlich, so schwer zu verdauen, dass die meisten es mindestens kleinreden oder gleich abstreiten. Denn Ethnic – oder Racial – Profiling, das gezielte Kontrollieren oder Andersbehandeln von Menschen mit als fremd wahrgenommenen Haut- und Haarfarbe, Augenform, Kleidung verrät auf besonders drastische Weise den schönsten Grundsatz der Menschheit: dass alle, wirklich alle Menschen gleich an Würde und Rechten sind.

Dabei wissen alle, wie oft diese Wahrheit mit Füßen getreten wird. Es geschieht ja ganz öffentlich: Der Mann mit schwarzem Bart und Haar, der am Flughafen vor uns aus der Schlange treten muss, der Schwarze, den auf meinem Einkaufsweg eine fünfköpfige Polizeipatrouille umringt, oder das Paar of Color, das als einziges im Großraumwagen des Zugs die Koffer öffnen muss. Auch bei wem nichts gefunden, wem kein Regelverstoß nachgewiesen wird, trägt danach in den Augen der Zeug:innen solcher Szenen ein Brandzeichen.

Und schlimmer noch, es brennt sich auch vermeintliches Wissen ein: Wer nicht weiß ist, hat eh etwas auf dem Kerbholz. Und ist sowieso keiner, keine „von uns“ ist, denn „wir“ wurden ja nicht kontrolliert. Auf Grundlage solchen „Wissens“ handelt nicht irgendwer, sondern handeln Männer und Frauen, die in Uniformen stecken und einen Staatsauftrag haben. Polizistinnen, Grenzschützer, das staatliche Gewaltmonopol in Fleisch und Blut.

Warum Kontrollen auf Fußwegen verletzender wirken als im Auto

Das macht die Praxis so zerstörerisch, für Individuen wie für die Gesellschaft. Denn sie spaltet und unterdrückt Menschen und ihre Begabungen, jene Vielfalt, die Erfolg und Wohlergehen aller steigern würden. Es ist eins der großen Verdienste der ohnehin verdienstvollen Europäischen Grundrechte-Agentur (FRA), dass sie sich regelmäßig dieser Art Ungleichheit annimmt, in Datenerhebungen und Handreichungen, die helfen sollen, sie abzustellen.

An diesem 25. Mai legt die FRA nun unter dem Titel „Your Rights Matter. Police Stops“ die Auswertung mehrerer Datensammlungen der letzten Jahre über Polizeikontrollen in ganz Europa vor. Das etwas trockene Elaborat voller Balkendiagramme und Zahlen dürfte, wie die FRA schreibt, in der Tat die erste Studie sein, die auf europäischer Ebene Vergleiche ermöglicht zwischen Polizeihandeln in der allgemeinen Bevölkerung und ethnischen Gruppen gegenüber. Untersucht wurde die Häufigkeit von „Police Stops“, dann wie der gesellschaftliche Schnitt und wie Minderheiten sie erlebten und wie sie ihnen ausgesetzt waren.

Zu Recht unterscheidet das FRA-Papier zwischen Kontrollen auf Fußwegen und denen im eigenen Fahrzeug. Kontrollen während eines Spaziergangs oder Einkaufswegs würden eher als ausgrenzend erlebt, als vom Rad geholt oder im eigenen Wagen an den Straßenrand gewinkt zu werden. Hier werden die Betroffenen von vornherein eher allgemeine Alkoholtests vermuten oder, dass sie bei Rot oder zu hoher Geschwindigkeit gefahren sind.

Wer der Polizei nicht vertrauen kann, wird ihr auch nicht helfen

Vorab: Deutschlands Ordnungshüter:innen stechen weder im Guten noch im Schlechten besonders hervor. Doch deprimierend sind die europäischen Zahlen allemal. Während von Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft 13 Prozent angaben, in den zwölf Monaten vor der Befragung in Polizeikontrollen geraten zu sein, waren es 22 Prozent derer, die Minderheiten angehören. Ein gutes Drittel (34 Prozent) wurde auf einem Fußweg gestoppt – bei denen ohne Minderheitenhintergrund waren dies nur 14 Prozent.

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Und die Studie stellt fest, dass die Art, ob die Polizei sie mit oder ohne Respekt behandelt, auf ihr Vertrauen wirkt und darauf, wie bereit sie wären, zur Polizei zu gehen, wenn sie Straftaten mitbekommen, oder überhaupt mit ihr zu kooperieren.

Wer sich auf die nüchternen Zahlen einlässt, weiß anschließend besser, dass es für Einwanderungsgesellschaften wie die europäischen lebenswichtig ist, Racial Profiling abzustellen. Desto besser, dass die FRA sich für die Veröffentlichung den Todestag von George Floyd vor einem Jahr ausgesucht hat. Übrigens: Auch hier sterben Menschen in Polizeigewahrsam. So weit entfernt ist Amerika denn doch nicht.

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