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Politik: Ein klarer Tausch - Konzentrationslager gegen die neue deutsche Hauptstadt (Gastkommentar)

Der diplomatische Deal war klar: Berlin gegen Sachsenhausen. Israels Ministerpräsident Ehud Barak sollte als erster ausländischer Regierungschef nach dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin Deutschland besuchen.

Der diplomatische Deal war klar: Berlin gegen Sachsenhausen. Israels Ministerpräsident Ehud Barak sollte als erster ausländischer Regierungschef nach dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin Deutschland besuchen. Dafür sollte Gerhard Schröder als erster Bundeskanzler die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen besuchen. Barak sollte in der historisch kontaminierten Hauptstadt eine Art Persilschein abgeben. Im Gegenzug sollte sein deutscher Amtskollege als erster Kanzler die Todesfabrik besuchen, sich mit Überlebenden des Holocaust vor der "jüdischen Baracke" und dem Tor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei" abbilden lassen, und vor dem Krematorium das Summen der israelischen Nationalhymne "Hatikwa" anhören. Gesungen wurde keine Hymne, gehisst wurden keine Fahne - so sah es die deutsch-israelische Abmachung vor. Dazu gehörten ein paar verbrauchte, wenn auch glatt formulierte Floskeln Schröders wie "wir müssen uns wieder daran erinnern" und "nie wieder Auschwitz".

Kein Wort fand der deutsche Bundeskanzler übrigens für die anwesenden alten Überlebenden des Holocausts, die große Hemmungen überwinden mussten, um nach 57 Jahren wieder an diesen Ort des Schreckens zurückzukehren, wo sie einst als "Untermenschen" behandelt worden waren. Barak hingegen begann seine lange Rede mit einem Appell an "meine Brüder, die überlebenden, die heute unter uns sind". So wichtig war Deutschland Baraks Besuch in Berlin, dass er einen Tag nach Yom Kippur, dem jüdischen Versöhnungstag stattfinden musste, dem heiligsten Tag des Jahres. Dass es Barak gelungen ist, diesen heiklen Besuch dennoch vorzubereiten, ohne den Tag zu entweihen und dadurch seine Koalition mit den orthodoxen Parteien zu gefährden, war an sich schon ein Erfolg. Aber ganz problemlos konnte auch er das "andere Deutschland" in Israel nicht präsentieren, weil Berlin für viele Israelis immer noch ein "braunes Tuch" ist.

Die israelischen Kritiker nahmen vor allem zwei Gebäude ins Visier: den Reichstag und das Hotel "Adlon". Manche Israelis wollten in einem Reichstagsbesuch Baraks eine Beleidigung für die Opfer der Nazis sehen, weil "in diesem Gebäude die Nürnberger Rassegesetze verabschieden wurden," wie die renommierte Zeitung "Haaretz" fälschlicherweise schrieb.

Schließlich wurde ein Kompromiss gefunden: Nawa Barak, die Gattin des Premiers, besuchte die Kuppel, ließ aber keine Journalisten oder Photographen in ihre Nähe. Zu der "Vergangenheit" des Nobelhotels zählte ein israelischer Starkolumnist nicht nur die berüchtigte Gestapozentrale, sondern auch viele "Skellette von ermordeten Häftlingen im Keller". Sogar Staatspräsident Ezer Weizman habe dieses Hotel gemieden, schrieb er weiter. Weizman besuchte Berlin jedoch ein Jahr bevor das "Adlon" überhaupt eingeweiht wurde. Die große Aufregung wurde aber ganz schnell mit einigen Fakten zur Ruhe gebracht: Ignatz Bubis habe hier dreimal übernachtet, Adolf Hitler nur einmal!Unser Autor ist Deutschland-Korrespondent der Tel Aviver Tageszeitung "Maariv".

Igal Avidan

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