zum Hauptinhalt

Politik: Ein Kriminalrat packt aus

Anhörung in Magdeburg: Vizechef der Polizeidirektion Dessau verhinderte die Verfolgung von Neonazis

Von Frank Jansen

Die meisten Abgeordneten blicken konsterniert. Was der Untersuchungsausschuss des Landtags von Sachsen-Anhalt am Montag vorgesetzt bekommt, ist ein Sittengemälde der Polizei – unangenehmer als erwartet, sollte alles stimmen, was Kriminalrat Sven Gratzik berichtet. Als er 2004 in der Polizeidirektion Dessau den für die Bekämpfung politisch motivierter Straftaten zuständigen Staatsschutz übernahm, „bekam ich den Auftrag, rechte Tendenzen aus dem Bereich rauszunehmen“.

Unter den Beamten, die sich mit Rechtsextremismus befassen sollen, hätten mehrere selbst rechtsextremes Vokabular benutzt, sagt Gratzik. „Die haben Linke als Zecken bezeichnet“, so wie es Neonazis häufig tun. Diese Geschichte ist nur der Auftakt der mehrstündigen Aussage Gratziks, der als einer der wichtigsten Zeugen dem Untersuchungsausschuss bei der Aufklärung der Polizeiaffäre helfen soll.

Auslöser der Debatte über eine Serie von Polizeifehlern war Gratziks Konflikt mit Vorgesetzten. Der Kriminalrat bestätigt vor dem Ausschuss, im Februar habe der damalige Vizechef der Polizeidirektion Dessau, Hans-Christoph Glombitza, ihn und zwei Kollegen gedrängt, das Engagement bei der Verfolgung rechter Delikte zu bremsen. „Glombitza sagte, dass man nicht alles sehen müsse“.

Gratzik zeigt vor dem Ausschuss, wie der Chef eine Zwei-Finger-Methode beim Tippen von Meldungen empfahl. Und dies, obwohl es endlich gelungen war, den Staatsschutz zu einem „Sammelbecken“ hoch motivierter Beamter umzubauen. „Wir waren ratlos“, schildert Gratzik seine Stimmung und die der „aufgewühlten“ Kollegen nach dem Gespräch.

Glombitza und andere Vorgesetzte habe gestört, dass infolge der intensiven Ermittlungen die Fallzahlen rechter Kriminalität rund um Dessau Ende 2006 dreimal so hoch waren wie zwei Jahre zuvor, sagt Gratzik. Er und die zwei Kollegen schrieben nach dem Gespräch ein Gedächtnisprotokoll, ein Beamter wandte sich an den Petitionsausschuss des Landtags. Im Mai wurde der Fall durch einen Bericht des Tagesspiegels publik.

Er habe nach dem Gespräch nochmal mit Glombitza geredet, sagt Gratzik, und auf die Frustration seiner Kollegen verwiesen. Glombitza habe geantwortet, „wenn die demotiviert sind, entsorgen sie die Beamten“. Gratziks Aussage nährt den Verdacht, Glombitza habe im Sinne des Landeskriminalamts gehandelt. Glombitza wies vor dem Ausschuss am Abend alle Vorwürfe zurück. Er vermute, dass die drei Staatsschützer eine Intrige gegen ihn eingeleitet hätten, weil er ihnen einen Sonderurlaub nicht genehmigt hatte, sagte er.

Laut Gratzik habe der Dessauer Staatsschutz Ende 2006 dem Landeskriminalamt (LKA) 19 rechtsextreme Delikte gemeldet, die nicht in der Statistik rechter Kriminalität auftauchten. Gratzik nennt ein Beispiel: Eine dunkelhäutige Frau sei am Telefon mit den Worten bedroht worden, „du Negerschlampe, dein Negerkind bringen wir um“. Das LKA habe aber kein politisch motiviertes Delikt erkannt. Der Untersuchungsausschuss tagt wieder am 14. Januar.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false