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Politik: Ein Marshall-Plan für den Maghreb

EU will mehr Geld, Handel, Austausch – und Migration für Nordafrikaner

„Wir sollten über humanitäre Hilfe reden, über Dialog und was wir anbieten für die Zeit nach Gaddafi.“ So wich der schwedische Premier Fredrik Reinfeldt am Freitag Fragen nach militärischen Optionen im Umgang mit Libyen aus. Klar ist, dass die Umwälzungen im arabischen Raum nicht nur eine kurz-, sondern auch eine langfristige Antwort erfordern. „Wir können uns nicht leisten, klein zu denken“, sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. Einer ihrer Mitarbeiter ergänzte: „Der Dominoeffekt findet vor unseren Augen statt.“ Für die Reformstaaten des Maghreb – Tunesien, Ägypten, Marokko und vielleicht bald auch Libyen – stellte der EU-Sondergipfel gestern umfassende Hilfe in Aussicht.

Grundlage soll eine „Partnerschaft für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand“ werden, nach dem Prinzip „Mehr für mehr“ – je größer die Reformbereitschaft, desto größer die Hilfe. Intensivere Kontakte mit der Region sollen die Basis bilden. Unklar ist noch, ob das neue Formate leisten oder die seit 2008 bestehende, aber blockierte Mittelmeerunion neu gestaltet wird. Neu programmiert wird die sogenannte EU-Nachbarschaftshilfe. Dort stehen allein für Tunesien und Ägypten in den kommenden drei Jahren insgesamt 690 Millionen Euro zur Verfügung. Als Lehre aus der einseitigen Unterstützung der herrschenden Regierungen soll die Zivilgesellschaft viel stärker in die Diskussion über den Mitteleinsatz eingebunden werden – mit einer EU-finanzierten Plattform für den Austausch zwischen Parteien, Gewerkschaften, Arbeitgebervertretern und Nichtregierungsorganisationen. Dabei sollen laut Bundeskanzlerin Angela Merkel die „politischen Stiftungen eine wichtige Rolle spielen“.

Ohne wirtschaftlichen Aufschwung in Nordafrika könnten schnell neue Frustrationen entstehen und die Islamisten erstarken lassen. „Die Menschen haben nicht nur nach Freiheit gerufen“, sagte Werner Hoyer, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, „sondern auch nach Brot.“ Die EU- Kommission will die Handelsgespräche im Dienstleistungs-, Agrar- und Fischereisektor beschleunigen – mit dem Ziel einer Freihandelszone. Kanzlerin Merkel nannte dies „das beste Stimulusprogramm für die Region“ überhaupt. Noch 2011 sollen Produkte aus der Region bevorzugt nach Europa eingeführt werden dürfen. Ähnlich verfährt die EU bereits mit ehemaligen Kolonien in Afrika, der Karibik und dem Pazifikraum. Investitionen in Nordafrika sollen vereinfacht werden, auch um überall Zugang zum Internet zu gewährleisten. Projekte sind auch bei Solarstrom und Flugsicherheit geplant.

Für die Finanzierung setzt Brüssel auf die EU-Banken: Das Kreditlimit der Europäischen Investitionsbank (EIB) soll um eine Milliarde Euro erhöht, das Mandat der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung – 1991 gegründet zur Unterstützung der Warschauer-Pakt- Staaten – so erweitert werden, dass sie in Nordafrika tätig werden kann.

Im Rahmen einer „Mobilitätspartnerschaft“ will Brüssel Visaerleichterungen ermöglichen, obwohl das viele Mitgliedstaaten ablehnen. Das Papier geht sogar noch weiter: Es sieht auch ein Studentenaustauschprogramm und einen „rechtlichen Rahmen für die (wirtschaftliche) Migration“ vor – also legale Zuwanderung.

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