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Politik: Ein Stasi-Puzzle

Schnipsel der Boßdorf-Akte zusammengesetzt

Von Matthias Schlegel

Berlin/Leipzig - „Die Bereitschaft des IM-Kandidaten zur operativen Unterstützung des MfS konnte unter Ausnutzung seiner persönlichen politischen Motivierung erfolgen.“ Was da im typischen verquasten Stasi-Stil von einem MfS-Leutnant handschriftlich niedergeschrieben wurde, ist ein weiteres Puzzleteil, das sich zum Gesamtbild der Stasi-Verstrickung des ehemaligen ARD- Sportkoordinators Hagen Boßdorf fügt. Ein Puzzle im wahrsten Sinn des Wortes: Die jetzt in der Leipziger Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde aufgetauchten, dem Tagesspiegel vorliegenden Dokumente mit Einschätzungen über den von der Stasi als Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) „Florian Werfer“ geführten Boßdorf und Strategien seines Einsatzes wurden aus Akten zusammengesetzt, die von Stasi- Mitarbeitern 1989/90 zerrissen und in Säcken hinterlassen worden waren.

Der Plan der Stasi: Sie will sich den aufgeschlossenen IM zunutze machen, um eine Göttinger Studentin, die in den Akten mit dem Decknamen „Adel“ geführt wird, anzuwerben. Boßdorf hatte die junge Frau an seinem Studienort Leipzig kennengelernt, als sie 1988 dort mit anderen West-Kommilitonen zu Gast war. „Festigung des Kontaktes durch den IM ,Werfer‘, umfassende Aufklärung der Person und Schaffung von Voraussetzungen zur Einleitung eines Werbeprozesses“ formuliert der Stasi-Offizier unter dem Stichwort „Ziel“. Dazu soll der IM „eine Aufstellung pos./neg. verfassen“, ob „Adel“, die Interesse an Besuchen in der DDR und weiteren Treffen mit Boßdorf gezeigt hatte, nicht vielleicht doch „gesteuert sein kann (geheimdienstlich)“.

Ohnehin ist der Journalistikstudent interessant für das MfS. Denn es sei „ein baldiger Einsatz beim Rundfunk zu wichtigen Sportereignissen – auch im Ausland – denkbar; damit besteht erhöhte Wahrscheinlichkeit, Kontakte zu oper. inter. Verb. Pers. (operativ interessanten Verbindungspersonen – d. Red.) herzustellen.“ In Sachen „Adel“ jedenfalls bewährt sich der IM durchaus: Er habe „trotz großer gesellschaftlicher und sportlicher und fachlicher und privater Belastungen den Willen, diesen Kontakt so zu pflegen, dass er operativ gestaltet werden kann“, schreibt der Stasi-Offizier.

Die aus Aktenschnipseln zusammengesetzten Dokumente sind auch aus anderen Gründen interessant: Zeigen sie doch, dass die noch immer in 16 000 Säcken lagernden zerrissenen Stasi-Akten brisantes Material bergen. Das macht die dieser Tage angelaufene computergesteuerte Rekonstruktion umso wichtiger. Zum anderen ist gerade von dem Stasi-„Nachlass“ aus Leipzig noch einiges zu erwarten. Denn in der „Heldenstadt“ verhinderte das Bürgerkomitee nach der Besetzung der Stasi-Zentrale mit Tag- und Nachtwachen, dass – wie in allen anderen 14 Stasi-Bezirksstellen geschehen – Akten der Abteilung Auslandsaufklärung komplett vernichtet werden konnten. Dort existieren deshalb die einzigen schriftlichen Überlieferungen über die Westarbeit des Geheimdienstes.

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