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Politik: Ein Urteil und seine Interpretation

Wiefelspütz: Terrorangriff aus der Luft wäre ein Landesverteidigungsfall – ein Abschuss daher doch möglich

Von Michael Schmidt

Berlin - Nach dem Scheitern des Luftsicherheitsgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz eine neue Debatte über die Auslegung des Urteils und die Landesverteidigung durch die Bundeswehr angestoßen. Das Bundesverfassungsgericht, sagt Wiefelspütz, habe sein Nein zu dem Gesetz ausschließlich auf einen „nichtkriegerischen Luftzwischenfall“ bezogen. Für einen kriegerischen Zwischenfall aber gelte das Luftsicherheitsgesetz gar nicht, sondern das Grundgesetz und das Völkerrecht.

Bei der Abwehr eines Terrorangriffs von außen wie etwa bei den Anschlägen vom 11. September 2001 auf New York, im Falle eines Angriffs also, der sich mit polizeilichen Mitteln nicht abwehren lasse und einem militärischen Angriff mit Soldaten gleichkomme, müssten „die Regeln für die Landesverteidigung gelten“, sagte Wiefelspütz: „Wenn etwa ein Flugzeug in den USA entführt und bei uns als Waffe benutzt werden soll, ist das Landesverteidigung.“ Dazu müsse nicht der Verteidigungsfall nach Artikel 115a des Grundgesetzes ausgerufen werden, der „die gesamte innere Rechtsordnung in Richtung Notstand verändern würde“, so Wiefelspütz. Es reiche die Entscheidung der Regierung und die – wenn Gefahr im Verzug auch nachträgliche – Bestätigung durch den Bundestag. Die Rechtsstellung unschuldiger Passagiere, gab Wiefelspütz im Gespräch mit dem Tagesspiegel zu, sei im Kriegsfalle „natürlich eine grundsätzlich andere“. Im Falle eines kriegerischen Zwischenfalls sei man zwar auch gehalten, Menschenleben zu schonen, „aber die kategorische Haltung von Karlsruhe: Wenn Unschuldige an Bord sind, darf auf keinen Fall geschossen werden – diese Haltung gilt im Kriegsfall so nicht.“

Staats- und Verwaltungsrechtler Ulrich Battis von der Berliner Humboldt-Universität stellte sich „partiell“ an die Seite von Wiefelspütz. Im Hinblick auf den 11. September 2001 und den nachfolgenden Krieg gegen die Taliban in Afghanistan sei in der Tat die Frage: „Können, ja müssen wir aus dem Völkerrecht Konsequenzen für unser innerstaatliches Recht ziehen? Muss Terrorismus genauso behandelt werden wie ein Angriff von außen durch einen Staat? Werten wir die Terroristen auf zu Kombattanten im Sinne des Kriegsvölkerrechts?“ Battis’ Antwort fällt zurückhaltend aus: „Das kann man nicht übers Knie brechen.“ Das Völkerrecht befinde sich nach wie vor in einem höchst umstrittenen, diffus verlaufenden Änderungsprozess – jetzt schon Konsequenzen für das innerstaatliche Recht daraus zu ziehen, sei zu früh. Richtig sei: Wenn ein Passagierflugzeug von außen kommend in Deutschland als Waffe benutzt werde, „indiziert das den Einsatz der Bundeswehr zur Landesverteidigung“, so Battis. Er plädiere jedoch, anders als Wiefelspütz, für eine Grundgesetzänderung im Sinne einer Erweiterung des Artikels 87a zu Aufstellung und Befugnissen der Streitkräfte. „Das ist angesichts der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung der sicherste Weg – es jetzt nur durch eine Uminterpretation zu versuchen, ist höchst riskant.“

Auch der Innenexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Max Stadler, sagte, die Verteidigung des Luftraums gegen Angriffe von außen sei eine „originäre Aufgabe von Bundeswehr und Nato“. Stadler fügte aber hinzu, der Gesetzgeber dürfe „jetzt auf keinen Fall den Eindruck erwecken, als suche man wenige Tage nach dem Urteil nach Umwegen, um die klare Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu umgehen.“ Er habe „erhebliche Zweifel“, ob Wiefelspütz’ Interpretation „so schon schlüssig“ sei. Und ob es tatsächlich einen Unterschied mache, ob ein Flugzeug im Inland entführt und als Waffe benutzt werde, was ein Fall für das Luftsicherheitsgesetz wäre, oder im Ausland, so dass die Regeln der Landesverteidung gelten würden. „Ich bin dafür, in beiden Fällen das strikte Urteil von Karlsruhe zum Schutz unschuldiger Passagiere und Besatzungsmitglieder anzuwenden“, sagte Stadler dem Tagesspiegel.

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