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Politik: Ein Vizekanzler, kein Wort

Im Streit um das Arbeitslosengeld bleibt Müntefering hart – ohne das Thema im Bundestag zu erwähnen

Berlin - Für den Schluss hat sich der Vizekanzler ein ganz besonders nett verpacktes Selbstlob aufgehoben. Seit einer halben Stunde steht Franz Müntefering nun am Rednerpult des Bundestages – eine halbe Stunde, in der er ausgiebig über die arbeitsmarktpolitischen Erfolge der großen Koalition referiert, aber kein einziges Mal jenes Wort ausgesprochen hat, auf das alle warten.

Das Wort lautet Arbeitslosengeld I und es spaltet Münteferings Partei. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck will die Bezugsdauer für Ältere auf bis zu 24 Monate verlängern. Franz Müntefering will das nicht. In zwei Wochen ist SPD-Parteitag. Gibt es zwischen Vizekanzler und SPD-Chef bis dahin keinen Kompromiss, wird Beck über seinen Vorschlag abstimmen lassen. Eine Mehrheit scheint ihm sicher. Unsicher ist nur, ob Müntefering nach einer solchen Niederlage im Amt bleiben wird.

Das ist, grob zusammengefasst, die Lage, in der Müntefering an diesem Donnerstagmorgen um kurz nach neun zu seiner Regierungserklärung im Plenum antritt. Er trägt einen schwarzen Dreiteiler, eine rote Krawatte, er sieht sehr staatsmännisch aus und sehr pflichtbewusst. Es ist bekannt, dass Müntefering umso ruhiger wird, je größer der Druck von außen ist. Der Redner Müntefering wirkt wie immer. Vielen in seiner Partei flattern die Nerven, er zeigt sich beherrscht. In der Auseinandersetzung mit Beck ist der Bundestag seine Bühne. Also nutzt er sie.

Er braucht nicht lange, bis er bei den Zahlen ist. An ihnen lässt sich nicht nur zeigen, „dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland im September so niedrig war wie seit zwölf Jahren nicht mehr“. Die Zahlen sind auch recht nützlich im Streit um das ALG I. Niemand kann dem Arbeitsminister Illoyalität vorwerfen, wenn er vor dem Bundestag darauf hinweist, dass gerade für Ältere die Lage auf dem Arbeitsmarkt besser geworden ist. Von knapp 38 auf 52 Prozent sei deren Beschäftigungsquote seit 1989 gestiegen, sagt Müntefering.

Dass dieser Erfolg seiner Meinung nach gefährdet ist, sollte Becks Vorschlag Gesetz werden, braucht Müntefering nicht mehr hinzuzufügen. Das wissen inzwischen ohnehin alle. Er hat seine Kritik am Dienstag vor der Fraktion wiederholt und, nur zur Sicherheit, in einem Gespräch für die Donnerstagsausgabe des „Handelsblatts“ erneut zu Protokoll gegeben. Die Frage ist aber, was Müntefering damit eigentlich erreichen will. Denn über eine Einschätzung herrscht in der SPD Einigkeit über die Flügel hinweg: Die Verlängerung des Arbeitslosengeldes kann Müntefering nicht mehr stoppen. Dafür sind die absehbaren Mehrheiten auf dem Parteitag zu eindeutig. Ganz abgesehen davon, dass sich die SPD schon wieder einen neuen Vorsitzenden suchen müsste, würde sie Beck beim Arbeitslosengeld I nicht folgen. Das wollen nicht einmal die größten Reform-Verfechter in der SPD.

Und so machen sich die SPD-Abgeordneten ihre Gedanken, während Müntefering spricht. Zum Beispiel den, es gehe dem Vizekanzler nur noch darum, im Ringen mit Beck um einen Kompromiss möglichst viel herauszuschlagen. Denkbar wären neben grundsätzlichen Bekenntnissen zur Reformpolitik zum Beispiel verpflichtende Weiterbildungsmaßnahmen. Dann würden Ältere das Arbeitslosengeld I nur länger erhalten, wenn sie an einer Qualifizierungsmaßnahme teilnehmen. Damit könne Müntefering für sich beanspruchen, seinem Prinzip treu geblieben zu sein, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. So und ähnlich denken sie in den Reihen der SPD-Fraktion.

Vorne am Rednerpult macht Müntefering derweil deutlich, wo Deutschland die Prioritäten zu setzen hat, um diesem Prinzip gerecht zu werden. „Die Bildung ist unser Schicksal. Sie ist die entscheidende Bedingung dafür, dass wir Wohlstandsland bleiben“, ruft der Vizekanzler. Solche Sätze bescheren ihm den ungeteilten Beifall beider Koalitionsfraktionen, wobei die Damen und Herren von CDU und CSU an diesem Tag besonders eifrig sind. Ihr Applaus gilt vor allem den Gegenspieler von Beck, nicht dem sozialdemokratischen Arbeitsminister. Besonders deutlich wird das, als Müntefering die Aufnahme der Briefdienstleister in das Entsendegesetz zum Ende des Jahres – also einen allgemeinverbindlichen Mindestlohn für die Branche – ankündigt. Bei der Union rührt sich keine Hand. Aber Müntefering hat noch das nett verpackte Selbstlob in petto. Wenn die große Koalition dereinst vorüber sei, so der Vizekanzler mit Blick auf die Erfolge am Arbeitsmarkt, „werden sich viele im Land umsehen und sagen: ,Da kannste echt nicht meckern’“. Da klatschen die Abgeordneten der großen Koalition wieder ganz einträchtig. Franz Müntefering sieht in diesem Moment nicht so aus, als wolle er ihr bald nicht mehr angehören.

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