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Politik: Ein Wechsel auf die Zukunft

Von Christoph von Marschall

Ist die Gesundheitsreform schon wieder von der Tagesordnung verschwunden, bevor die Entscheidungsfindung so richtig begonnen hat? Die SPD will am Wochenende zwar die Details ihrer Bürgerversicherung als Gegenmodell zur Kopfpauschale der Union präsentieren. Doch schon hadert sie mit den Tücken des Konzepts. Sie muss die eigentlich geplante Einbeziehung von Mieteinnahmen in die Beitragsberechnung streichen; und über den künftigen Umgang mit Kapitalerträgen ist sie so uneins, dass die zuständige Kommission kaum zu einem gemeinsamen Vorschlag findet.

Die Strategen hatten es sich so schön gedacht: 2005 sinken dank Praxisgebühr und neuen Zuzahlungen die Krankenkassenbeiträge, was den Bürgern Mut zum nächsten Schritt macht, dem Systemwechsel. Jetzt aber wächst mit den Protesten gegen die Arbeitsmarktreform die Versuchung, das Projekt zu verschieben. Wiederholt sich die traurige Erfahrung mit dem deutschen Modernisierungs Dreisprung: Erst wird eine Jahrhundertreform angekündigt, dann folgt eine lange Debatte, am Ende bleibt es bei kleinen Korrekturen am alten System?

Das wäre ein Drama. An der Dynamik, die den Abschied von der lohnfinanzierten Krankenversicherung erzwingt, hat sich nichts geändert. Gesundheitsleistungen werden teurer, die Standards höher, die technischen Möglichkeiten wachsen; die Menschen erreichen ein höheres Alter. Die Zahl der Beitragszahler aber sinkt. Lange behalf sich die Politik damit, von ohnehin steigenden Löhnen immer höhere Beiträge abzuzwacken: 1957 durchschnittlich 7,8 Prozent, 1985 11,8, heute 14,4 Prozent. Nun hilft auch das nicht mehr. Wachsen die Arbeitskosten weiter, gehen Jobs verloren, was wieder die Einnahmen gefährdet. Ein Teufelskreis.

Deshalb predigen Regierung wie Opposition zu Recht, dass ein Systemwechsel unumgänglich ist. Die Union favorisiert die Kopfpauschale: Jeder Bürger, auch jedes Kind, zahlt die gleiche Prämie. Der soziale Ausgleich wird aus Steuereinnahmen finanziert. Rot-Grün wollte alle, die heute von der Versicherungspflicht befreit sind (Beamte, Selbstständige und Besserverdienende) in die Bürgerversicherung zwingen und weitere Beitragsquellen erschließen: neben den Löhnen Miet- und Kapitaleinkünfte.

Da aber endete bei beiden Lagern die Ehrlichkeit. Sie ließen die Bürger im Glauben, der Systemwechsel sei bereits die Lösung – ohne neue Belastungen. Das war falsch. Die CDU musste beim Durchrechnen eingestehen, dass sie für den Sozialausgleich rund 40 Milliarden Euro aus Steuermitteln benötigt. Die SPD stellt jetzt fest, dass die Belastung von Mieteinnahmen nichts bringt, weil die Erhebung teurer wäre als der Ertrag; und dass der Wechsel der heute Nichtpflichtversicherten sich bis zum Jahr 2050 hinzieht.

Der Systemwechsel ist überfällig, aber es gibt keine Zauberformel, die den Bürgern immer bessere Gesundheitsleistungen ohne neue Kosten garantiert. Ob Kopfpauschale oder Bürgerversicherung – ausgegeben werden kann auf Dauer nur das Geld, das hereinkommt. Das Land hat die Wahl, ob es immer mehr Geld über Beitrags- und Steuererhöhungen ins System pumpt oder ob es die garantierten Mindestleistungen begrenzt und den Bürgern mehr Geld lässt, damit sie selbst entscheiden, was sie für ihre Gesundheit ausgeben wollen. Mut machen könnte ja auch heißen: sich die Erfahrungen der Schweden, Niederländer und Schweizer anzuschauen. Die praktizieren im Gesundheitswesen seit Jahren vieles von dem, was den Deutschen so viel Angst macht.

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