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Politik: Eine „Alliierte Serbiens“?

Haager Anklägerin will Mladic – und ist dafür bereit, Kosovofrage aufzuschieben

Sie hat Freund und Feind immer wieder verblüfft mit ihren offenherzigen politischen Stellungnahmen. Das ist Carla Del Ponte, der Chefanklägerin des Haager Kriegsverbrechertribunals, auch diesmal gelungen. Ihre Forderung, die Lösung der Kosovostatusfrage aufzuschieben, damit ihre derzeit produktive Zusammenarbeit mit Serbien nicht aufs Spiel gesetzt werde, verärgert die Kosovo-Albaner und erfreut die Serben. Worum geht es?

In ihrem Bericht für den UN-Sicherheitsrat zu Wochenbeginn sagte die streitbare Schweizerin, die Zusammenarbeit mit der serbischen Regierung verlaufe nun zufriedenstellend. In der Tat waren mit serbischer Unterstützung in den vergangenen Wochen zwei ehemalige serbische Generäle verhaftet und nach Den Haag überstellt worden. Die Bereitschaft Serbiens, Angeklagte zu verhaften und auszuliefern, ist durch das in Aussicht gestellte Assoziierungsabkommen mit der EU motiviert – der erste Schritt auf dem Weg zur Integration. Doch Del Ponte ging weiter: Sie wisse seit ihrem jüngsten Besuch in Belgrad, dass eine schnelle Lösung der Statusfrage Kosovos – im Klartext: dessen Unabhängigkeit – die Pläne Belgrads zur Verhaftung Ratko Mladics durchkreuzen könnten. Deshalb sollte damit gewartet werden. Del Ponte geht es aber vor allem um eins: Nachdem der frühere jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic in der Scheveninger Zelle gestorben ist, will sie wenigstens die Nummer zwei, Mladic, ausgeliefert haben. Ihr Ruf als Anklägerin im historischen Prozess um den Zerfall Jugoslawiens steht auf dem Spiel. Kosovo ist für sie eher nachrangig.

Ob es einen „Deal“ zwischen Del Ponte und Belgrad gibt, ist ungewiss. Aber es gibt einen temporären Einklang der Interessen, der den serbischen Vorsitzenden des Rats für Kooperation mit Den Haag enthusiastisch von Del Ponte als „Alliierter Serbiens“ sprechen ließ. Ein serbischer Kommentar bezeichnet Mladic als „Chip im Kosovospiel“. In Pristina ist man erbost. Es sei absurd, dass sich Del Ponte zur Statusfrage überhaupt äußere, heißt es. Und ein Leitartikler argwöhnt, dass die westliche „Realpolitik“ nun vergangene Kriegsverbrechen mit der Zukunft Kosovos zu verrechnen beginne.

Ohnehin steigt die Nervosität in der von den UN verwalteten Provinz. US-Präsident George W. Bushs rückhaltlose Unterstützung für die Unabhängigkeit beim Besuch kürzlich in Albanien vermochte die Gemüter nur vorübergehend zu beruhigen. Denn seit vergangenem Herbst werden die Kosovo-Albaner immer wieder auf die unmittelbar bevorstehende Unabhängigkeit vertröstet. Dabei ist ziemlich ausgeschlossen, dass diese bald und rechtmäßig über einen UN-Sicherheitsratsbeschluss erfolgen wird.

Andreas Ernst[Belgrad]

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