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Politik: Eine Arena für die Geschichte Von Markus Hesselmann

Diese Arena ist nicht schön. Das neue Olympiastadion ist kein „Schmuckkästchen", wie die neuen WMArenen in Köln, Hamburg oder München dieser Tage so oft klischeehaft genannt werden.

Diese Arena ist nicht schön. Das neue Olympiastadion ist kein „Schmuckkästchen", wie die neuen WMArenen in Köln, Hamburg oder München dieser Tage so oft klischeehaft genannt werden. Nein, dieses Stadion ist so wenig schön, wie Berlin eine „schöne Stadt“ ist. Nicht idyllisch, nicht pittoresk, nicht anheimelnd – aber spannend, bewegend, aufschlussreich. Deshalb passt diese ganz besondere Arena so gut zu Berlin.

Wer heute und morgen zur Eröffnungsfeier geht, sich in den nächsten Wochen ein Spiel von Hertha BSC anschaut oder am 12. September das nacholympische Sportfest Istaf besucht, wird erst einmal staunen, wie wenig sich dem Anschein nach verändert hat. Aber die Atmosphäre unterm neuen Dach und im neuen Flutlicht unterscheidet sich doch beeindruckend von früheren Zeiten. Der nicht allen immer liebe, aber vielen teure Denkmalschutz war hier ein Segen. Die Arena erstand auf eine gewisse Art neu, doch ihrer Geschichte wurde kein Abbruch getan. Die Geschichte – sie ist nicht nur das große Thema des Stadions, sie ist das große Thema der Stadt.

Natürlich zieht es Berlin-Besucher und vor allem ausländische Touristen nicht wegen der ruhmreichen Hertha ins Olympiastadion. Sie gehen hin, weil hier Hitler 1936 seine Loge hatte, weil hier Albert Speer seinen Lichtdom aus Flak-Scheinwerfern installierte und weil hier Leni Riefenstahl ihre heute noch faszinierenden Olympia-Filme drehte. Da können Geschichtskundige noch so oft darauf verweisen, dass die Olympischen Spiele von 1936 schon der Weimarer Republik zugesprochen worden waren und dass der Architekt Werner March 1933 schon längst mit seinen Planungen begonnen hatte. Das Olympiastadion ist genauso die Arena Hitlers wie die des amerikanischen Athleten Jesse Owens, der hier vier Goldmedaillen gewann.

Die Planer tun das Richtige, wenn sie die Geschichte nicht nur an einem musealen Nebenschauplatz vorführen, sondern sie auch im Stadionoval selbst aufleben lassen. Doch es ist nicht damit getan, die Enkel von Jesse Owens einzuladen oder eine Plakette dort anzubringen, wo einst der Führer zu sitzen beliebte. Es ist vor allem wichtig, in dieser Arena das zu dokumentieren, was 1936 ausgeblendet wurde: dass viele jüdische Sportler nicht mehr für Deutschland starten durften. Dass sie emigrieren mussten oder umkamen. Dass im olympischen Sommer 1936, in dem Hitlers Regime die Spiele missbrauchte, um Weltoffenheit und Friedfertigkeit vorzutäuschen, nur wenige Kilometer nördlich bereits das Konzentrationslager Sachsenhausen geplant wurde. Dass dafür leider oft das Bewusstsein fehlt, haben die geschichtsblinden Proteste gegen die Umbenennung der Reichssportfeldstraße in Flatowallee Mitte der Neunzigerjahre noch einmal gezeigt. Die jüdischen Turner Alfred und Gustav Felix Flatow starteten 1896 bei den Spielen von Athen für Deutschland und starben in der Nazi-Zeit im KZ.

Das neue Olympiastadion und das nun möglichst bald in Stand zu bringende frühere Reichssportfeld könnten der Startpunkt einer zusammenhängenden „Geschichtsmeile“ sein. Dieses Projekt einer Verknüpfung der historischen Orte Berlins wird seit langem diskutiert, wurde aber nie recht in Angriff genommen. Es könnte durch das Stadion einen neuen Aufschwung erfahren.

Doch bei der neuen alten Arena geht es nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch um die Zukunft. Der Begriff WM-Arena wird in diesen Tagen fast schon als Synonym für das Olympiastadion gebraucht. Es ist wunderbar, dass hier im Jahr 2006 das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft stattfinden wird. Doch dieses Stadion ist zuallererst „Das Olympiastadion“. Da kann die Laufbahn noch so Hertha-blau sein: Dieses Rund ist nun einmal keine reine Fußballarena. Es lädt ein zu einem neuen gemeinsamen Anlauf: erst die Leichtathletik-WM 2009 nach Berlin zu holen – und später auch die Olympischen Spiele. 2016 oder später.

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