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Politik: Eine ehrenwerte Gesellschaft

Eine Welle von Ermittlungen und Anklagen gegen die Spitzen von Staat und Regierung erschüttert Israel – und auch den Premier

Déjà vu. Israelis können zwar diesen Begriff nicht richtig aussprechen – anstatt eines ü am Schluss sprechen sie ein u. Doch das Gefühl, schon einmal mit der gleichen Situation konfrontiert gewesen zu sein, beschleicht sie zurzeit mehr denn je angesichts des unglaublichen Geschehens auf der politischen Bühne.

Letzte Nachrichten von dort: Ehud Barak hat sein Comeback angekündigt. Somit droht bei den nächsten Wahlen eine Wiederholung des Duells der beiden wenig erfolgreichen Ministerpräsidenten: Barak gegen „Bibi“ Benjamin Netanjahu. Und Schimon Peres intensiviert seine Bemühungen, demnächst Staatspräsident zu werden. Peres will Mosche Katsav nachfolgen – am Ende seiner Amtszeit wäre er 89 Jahre alt. Katsav, der ihn bei der letzten Präsidentenwahl schlug, steht, demnächst angeklagt als serienmäßiger Sittenstrolch oder gar Sexualdelinquent, unmittelbar vor einem erzwungenen Rücktritt.

Er ist nicht der Einzige, der eine Anklage fürchten muss: Zachi Hanegbi, der nicht mehr Minister sein darf und sich mit dem mächtigen Amt des Vorsitzenden des Knessetausschusses für Außen- und Sicherheitspolitik „begnügen“ muss, ist ebenfalls angeklagt. Als Umweltminister soll er gleich dutzendweise Ämter für Parteifreunde geschaffen haben. Gegen seinen Mitkämpfer aus Studentenzeiten, Ex-Landwirtschaftsminister Israel Katz, läuft eine strafrechtliche Untersuchung wegen des gleichen Delikts. Und Premier Ehud Olmert wird ebenfalls verdächtigt, als früherer Industrie- und Handelsminister gesetzeswidrig Jobs verteilt zu haben.

Chaim Ramon, der Erfinder des politischen „Urknalls“ – die Gründung der Mitte-Partei „Kadima“ von Ariel Scharon vornehmlich aus Abtrünnigen der Likud- und Arbeitspartei – musste als Justizminister zurücktreten. Er steht gegenwärtig vor Gericht wegen eines angeblich erzwungenen Zungenkusses, den er drei Sekunden lang einer Abschied feiernden Soldatin und Sekretärin aufdrückte.

Ebenfalls nicht am Kabinettstisch, sondern gegenwärtig auf der Anklagebank sitzt, wegen angeblicher Bestechlichkeit, Schlomo Benizri. Die ultrareligiös-ethnische Schas-Partei des ehemaligen Gesundheits- und späteren Arbeits- und Sozialministers ist solche Ungemach gewöhnt: Im Gefängnis saßen schon der Parteichef, der Fraktionschef, Minister und Abgeordnete. Andere Minister und Parlamentarier kamen mit bedingten Haft- oder Geldstrafen davon.

Nun hat es schließlich auch Olmerts treuesten Paladin, Finanzminister Abraham Hirchson, erwischt: Der Chef der Anklagebehörde, Menachem Masus, hat diese Woche der Polizei die Erlaubnis erteilt, Hirchson als Verdächtigen und nicht einfach als Zeugen zu vernehmen. Dabei geht es um eine Millionen-Unterschlagung, begangen von seinen direkten früheren Untergebenen bei der Gewerkschaft nationaler Arbeiter. Bisher ist noch keine Verdächtigung am „Teflon-Mann“ Hirchson kleben geblieben. Eine der wichtigsten Abteilungen in Hirchsons Reich allerdings, die Landessteuerbehörde, ist seit einer Woche total gelähmt, keine einzige wichtige Entscheidung kann mehr gefällt werden. Die Polizei sieht sich im Besitz „handfester Beweise“ für Korruption in den höchsten Rängen der Einkommensteuerprüfer. 100 Beamte, darunter der ehemalige und gegenwärtige Behördenchef, sind als Tatverdächtige verhört worden, ebenso Olmerts Bürochefin und deren Bruder, ein Jerusalemer Stadtrat. Olmert weilt derzeit in China, erstmals ohne seine engste Mitarbeiterin. Sie soll mittels eines einzigen Telefonanrufes bei der Behörde die Steuerrechnung eines Bekannten von zwölf Millionen Schekel (2,15 Millionen Euro) auf magere 200 000 Schekel reduziert haben.

Die Untersuchung, die Presseberichten zufolge derzeit gegen Premier Olmert selbst läuft, ist nur die bisher letzte – aber möglicherweise die einzige, die juristische Folgen haben könnte. Olmert soll als Interimsfinanzminister Schmiergelder im Zusammenhang mit der Privatisierung der zweitgrößten Bank des Landes angenommen haben. Bisher verliefen die meisten Untersuchungen gegen Olmert, seine gewinnbringenden privaten Immobiliengeschäfte betreffend, im Sande. Doch sie haben ihm in Meinungsumfragen den Ruf eingebracht, der weitaus korrupteste Politiker in einem Staat zu sein, den auch unzählige Kollegen als Selbstbedienungsladen missverstehen.

Die aktuellen Skandale – vor allem illegale Einflussnahme von Geschäftsleuten auf Ernennungen im Steueramt – haben das restliche Vertrauen der Bürger in den jüdischen Staat mehr erschüttert als alle anderen. Nicht die Korruptionsvorwürfe freilich haben Olmert in den Umfragen abstürzen lassen, sondern seine Kriegführung im vor exakt einem halben Jahr zu Ende gegangenen Libanonkrieg. Genau der könnte den als Verteidigungsminister total überforderten Arbeitsparteichef Amir Peretz demnächst den Job kosten.

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